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COVERSTORY 24 | CHEFINFO | 10/2022 FOTOS: NATASAADZIC / ISTOCK / GETTY IMAGES PLUS, RAOUL KNEUCKER henden Instrumenten über, etwa Abschiebungen.“ Stattdessen, so Kneucker, wird die europäische Menschenrechtskonvention (MRK) diskutiert. „Jeder weiß, dass es durch eine eventuelle Änderung der MRK zu keiner Lösung der Asylfrage kommen wird. Dazu müssten wir den Rechtsstaat ändern. Die hohen Beamten hüten sich, in eine solche Diskussion einzusteigen. Es werden auf dem Rücken der Bürokratie oft ideologischeThemen geritten, und das zerstört die Bürokratie.“ Ähnliches sieht er in der aktuellen Debatte um das Bundesheer. „Durch den Ukraine-Krieg haben wir Schwierigkeiten, unsere Neutralität zu verteidigen. Alle wollen, dass das Bundesheer diese Aufgabe ernst nimmt. Doch das Erste, was man hört, ist, wir brauchen so und so viele Milliarden, ohne, dass eine einzige Maßnahme am Tisch liegt.“ Es gibt kein Gesetz zur Verbesserung der Verwaltung Kneucker sieht dabei gut gemeinte Ansätze in der österreichischen Bürokratiegeschichte. „In der Monarchie war die Bürokratie eine der wichtigsten Säulen des Staates. Mit der Gründung der Republik hat man darauf aufbauen können, doch sie war überdimensioniert. Es brauchte viele Jahre, um die Zahl zu senken. Der Regierung Schüssel ist es gelungen die Beamtenzahl von 340.000 auf 190.000 zu reduzieren.“ Doch, damals wie heute: „Eine echte Verwaltungsreform bleibt aus, weil es kein Gesetz gibt, das die Verbesserung der Verwaltung regelt, so etwas wie das betriebliche Innovationswesen der Industrie. In der Verwaltung ist das eher zufällig und hängt davon ab, ob es Leute gibt, die das machen.“ So ging der Einführung des elektronischen Aktes eine lange Diskussion voran, und sie wurde von den Sekretariaten befeuert. „Sie sahen, dass der elektronische Akt enorm effektiv ist. Mangelnde Koordination ist das größte Problem in der Verwaltung. Viele Dinge sind von zwei, drei, vier Ministerien zu behandeln und zu entscheiden, die Koordination fehlt aber oft.“ Bürokratie muss den Menschen dienen Von diesem Mangel und die daraus entstehenden Sorgen und Nöten, kann Doris Hummer, Präsidentin der WKOÖ, fast täglich berichten. Hummer: „Es sind oft die vielen kleinen Nadelstiche, die Betriebe zur Verzweiflung bringen. Jeder ‚Fachexperte‘ sieht seinen eigenen, kleinen Bereich, aber unsere Betriebe trifft das bürokratische Gesamtpaket.“ Die Liste an bürokratischen Belastungen sei lang und bunt. „Das reicht von einer unglaublich komplizierten Lohnverrechnung über die Evaluierung psychischer Belastungen der Mitarbeiter, Veröffentlichungspflicht in der Wiener Zeitung, Abfallwirtschaftskonzepte für Betriebe mit haushaltsähnlichen Abfällen, einer Vielzahl von Unterweisungs- und Aufzeichnungspflichten, Begehungspflichten von Arbeitsplätzen ohne Unterscheidung der Risikolage und so weiter und so fort.“ Und sie fordert: „Die Bürokratie muss den Menschen dienen und nicht umgekehrt. Das Grundprinzip lautet: So wenig Bürokratie wie nötig, so viel Freiraum wie möglich.“ 10/2022 | CHEFINFO | 25 COVERSTORY FOTO: OBERBANK/FOTO LUI FINANZWIRTSCHAFT. Franz Gasselsberger, Generaldirektor der Oberbank, über bürokratische Hürden bei der Investitionsförderung, dem Pensionssystem und dem Zugang zum Kapitalmarkt. CHEFINFO: Wo sehen Sie in Ihrem Business die größten bürokratischen Hürden? Franz Gasselsberger: Wir sind als siebtgrößte Bank Marktführer bei der Investitionsförderung. Dabei treten immer wieder Sachverhalte auf, welche die Förderanträge und die Abwicklung erschweren, etwa die Unzahl an Förderstellen. Es gibt Bundes- und Landesförderungen, den ERP-Fonds, AWS und viele weitere Stellen. Es sollte eine Bundesförderstelle geschaffen werden, die zentral verwaltet. Das würde das System verschlanken und dynamischer machen. Dazu wird in diesem Bereich nicht digitalisiert, alles läuft noch in Papierform. Wir sind ja nicht mehr in der Steinzeit. Das zweite große Thema, mit dem wir kämpfen, ist die Pensionsvorsorge. Wir haben drei Säulen, die staatliche, die betriebliche und die private. Die gesetzliche Säule liegt darnieder. Ein Viertel des 100-Milliarden-Euro-Budgets wird aufgebracht, um die Pensionsleistungen zu finanzieren. Es ist aber ein Mythos, dass die Verlängerung der Lebensarbeitszeit sich massiv auswirkt. Ein Jahr länger arbeiten bringt nur eine Milliarde. In anderen Ländern werden die private und betriebliche Säule viel stärker gefördert. In Deutschland gibt es sogar eine Verpflichtung, dass die Betriebe tätig werden müssen. Auch die Mitarbeiter wollen das und es würde die Mitarbeiterbindung erhöhen. Dabei müsste man aber gleichzeitig die Unternehmen bei Arbeitgeber- und Sozialversicherungsbeiträgen entlasten. Nur 25 Prozent aller Arbeitnehmer können auf eine betriebliche Pensionsvorsorge zurückgreifen, weil Personengesellschaften im Vergleich zu Kapitalgesellschaften diese nicht in vollem Umfang absetzen können. Ähnliches bei der privaten Vorsorge. Da spielt die Leistbarkeit eine Rolle. Die Sparquote sinkt, also muss ich Menschen dabei unterstützen, steuerliche Anreize setzen oder Prämien bezahlen. Aber es heißt immer: Die Zeit für eine Pensionsreform ist nicht reif. Der Finanzminister hat einige Reformen zum Kapitalmarkt – Stichwort Behaltefrist – im Auge. Wie stehen Sie dazu? Gasselsberger: Finanzminister Brunner hat angekündigt, den Kapitalmarkt zu attraktiveren. Das ist eine löbliche Aussage. Eine Behaltefrist mit gleichzeitiger steuerlicher Entlastung würde den Markt attraktiver machen. Doch das Thema wurde verschludert. Die Menschen sitzen in der Realwertverlustfalle, dieser müssen sie entkommen. Man muss sie daher vermehrt in den Kapitalmarkt bringen. Doch auch hier hört man die immer gleichen Argumente. Das wäre nur etwas für Superreiche, man kann aber ab 50 Euro im Monat in Fonds investieren. Dann heißt es, das sei nur was für Spekulanten. Nein, ist es nicht, die meisten Trader denken langfristig. Man muss den Kapitalmarkt wieder positiv besetzen und ihn attraktiver gestalten. Die Menschen müssen einen Teil ihres Vermögens in diesen fließen lassen, mit einer Behaltefrist samt steuerlichen Vorteilen würde das gehen. „Wir sind ja nicht mehr in der Steinzeit“ Franz Gasselsberger Generaldirektor Oberbank Es gibt Bundes- und Landesförderungen, den ERP-Fonds, AWS und viele weitere Stellen. Es sollte eine Bundesförderstelle geschaffen werden, die zentral verwaltet. Für Franz Gasselsberger ist die Entlastung von privater und unternehmerischer Pensionsvorsorge ein großes Thema. Aber: „Es heißt immer: Die Zeit für eine Pensionsreform ist nicht reif.“ Ô Es werden auf dem Rücken der Bürokratie oft ideologische Themen geritten, und das zerstört die Bürokratie. Raoul Kneucker Bürokratieforscher

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