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COVERSTORY 22 | CHEFINFO | 10/2022 FOTOS: KERRICK / ISTOCK / GETTY IMAGES PLUS, WWW.ROBERTMAYBACH.COM LEBENSMITTELBRANCHE. Kontrollen, Audits, aber auch unterschiedliche Genehmigungsverfahren und Förderrichtlinien in den einzelnen Bundesländern sind für Gerald Hackl, Vorstandsvorsitzender der VIVATIS Holding AG, ein Ärgernis. CHEFINFO: Gibt es aus Ihrer Sicht so etwas wie eine Art Richtschnur für effiziente Bürokratie. Wie viel Bürokratie ist nötig bzw. ab wann ist sie zu viel? Gerald Hackl: Ein gesundes Maß an Bürokratie ist in Ordnung. Es braucht Fairness und Rechtssicherheit. Auch bei uns im Unternehmen ist Compliance wichtig, aber wie vieles im Leben geht es um die richtige Mischung. In puncto Bürokratie schlägt das Pendel in Richtung Überregulierung aus. Wenn sie keinen Nutzen mehr stiftet, ist sie übertrieben. Und Bürokratie hat einen doppelten Kosteneffekt. Gesetze, die geschaffen werden, kosten Geld, und auch uns als Unternehmen kostet dasWertschöpfung. Es bringt einen Verlust an Produktivität und Wettbewerbsnachteile. Was uns massiv trifft, ist, dass wir als einer der größten Lebensmittelproduzenten des Landes jedes Jahr Audits über Audits benötigen und dann auch noch die Auditoren geprüft werden. Vier- bis fünfmal wird dasselbe geprüft. Es wäre einfach, nur ein Audit zumachen, das andere einsehen könnten. Kann eine konsequente Digitalisierung der Verwaltung dieses Problem lösen? Hackl: Wir sind in Österreich in unterschiedlichen Bundesländern tätig und in jedem gibt es andere Vorschriften. Man müsste sich viel mehr vernetzen. Behörden- und Genehmigungsverfahren werden mühsam. Warum schafft man nicht ein zentrales digitales Register? Es gäbe da so viele Möglichkeiten. Es wird fairerweise auch einiges getan und es gibt auch in der Verwaltung Verfechter für mehr Digitalisierung. Es gibt sogar Behörden, die sich proaktiv den Betrieb ansehen wollen. Wenn sie ihn dann gesehen haben, verstehen sie unsere Anforderungen viel besser. Vor solchen Menschen habe ich Hochachtung. Doch andere wiederum interessiert das nicht. Die bleiben stur: „Das sind die Gesetze und nach diesen entscheiden wir, egal ob es Sinn macht oder nicht.“ Schadet die Bürokratie damit unserem Wirtschaftsstandort und hält sie eventuelle Investoren ab? Hackl: Wir haben 25 Gesellschaften und machen mit 3.400 Mitarbeitern rund 1,1 Milliarden Euro Umsatz. Unsere Geschäftsführer sind Gestalter, keine Verwalter. Doch die Bürokratie bremst. Wird etwa eine Investition geprüft, wird ein Gutachten erstellt, folgt dem ein Gegengutachten usw. Das kostet enorm viel Zeit und Geld. Wir wissen lange nicht, ob und was wir dürfen oder nicht. Diese Überregulierung schadet unserer Wettbewerbsfähigkeit. Wir sind stolz, dass wir in Österreich produzieren, Arbeit schaffen und Wertschöpfung im Land generieren. Ich stehe da voll dahinter, aber große Konzerne verlagern ihre Produktion in Länder, wo es einfacher ist. Österreich ist ein kleines Land und nach wie vor ein guter Standort. Wir könnten also klein und fein und damit sehr wendig sein, aber ich hoffe – und glaube dran –, dass sich einiges bei der Verwaltung tun wird. Es bräuchte vor allem ein wenig mehr Geschwindigkeit. „Pendel schlägt in Richtung Überregulierung aus“ Gerald Hackl Vorstandsvorsitzender VIVATIS Holding AG Was uns massiv trifft ist, dass wir jedes Jahr Audits über Audits benötigen und dann auch noch die Auditoren geprüft werden. Gerald Hackl führt einen der größten Lebensmittelproduzenten Österreichs. Für ihn hat Bürokratie einen doppelten Kosteneffekt: Gesetze kosten Geld und die Unternehmen kosten sie Wertschöpfung. tung errechnete, dass rund 12 Prozent der Wertschöpfung eines Unternehmens von der Bürokratie verschlungen werden. Während andere Länder diese Kosten senken wollen und Systeme wie „one in, one out“ – sprich, dass für jede neue Regelung eine alte „rausfliegt“ – etablieren, scheint sich in Österreich wenig zu bewegen. Im Bürokratiekostenindex der Weltbank liegt Österreich auf Platz 44. Die Plätze eins bis drei gehen an Hongkong, Singapur und Überraschungskandidat Georgien. Dahinter folgt, ebenfalls überraschend, das scheinbar starr hierarchische China. Das bestplatzierte europäische Land sind die Niederlande auf Platz sieben. Übrigens: Österreich ist in guter Gesellschaft. Deutschland liegt auf Rang 41 und die als so unbürokratisch gepriesene USA nur zwei Plätze vor der Alpenrepublik. Nicht schon wieder Luhmann Sollten Sie studiert haben, (fast) egal was, werden Sie gezwungenermaßen auf den Namen Niklas Luhmann (1927 bis 1998) gestoßen sein. Luhmann schrieb 1964 das sperrig klingende Werk „Funktionen und Folgen formaler Organisation“. Es war die Grundlage für seine Systemtheorie, in der er vor allem die Bürokratie beschrieb. Luhmann meinte: „Wer ein Verwaltungsgebäude betritt, sieht Leute den Flur entlanggehen, Akten heraussuchen und bearbeiten, telefonieren, auf die Uhr schauen, Butterbrote essen. Die konkrete Lebenswirklichkeit der Verwaltung ist offenbar nicht nur mit Entscheidungen befasst.“ Der Deutsche sah Systeme wie den bürokratischen Apparat, der stark auf sich selbst bezogen (selbstreferenziell) ist – er spricht auch von „Autopoiesis“. Systeme grenzen sich von ihrer Umwelt ab und definieren sich nach ihrer Funktion. Ein berühmtes Zitat von ihm bringt das auf den Punkt: „Gerade Bürokratie ist bekanntlich ein System mit sehr geringer Störempfindlichkeit.“ Ist Bürokratie in diesem Sinne überhaupt reformierbar? Der Journalist und Autor Wolf Lotter unterscheidet in einem Essay in „Der Standard“ unter dem Titel „Die Diktatur des Bürokratiats“ zwischen Verwaltung und Bürokratie. Letztere bezeichnet er als „die böse Schwester der guten Verwaltung“ und meint: „Bürokratie ermöglicht niemandem etwas – außer sich selbst. Ihr Ziel sind der Selbsterhalt und der Status quo … Fail ist die Bürokratie nicht, sie ist sogar fleißig darin, das Immergleiche zu tun. Aber sie löst damit keine Probleme, sie verwaltet sie lieber.“ Warum sind Bürokratiereformen so schwer umzusetzen? Seit 1945 wird die Verwaltung reformiert. Für Prof. Raoul Kneucker ist aber bisher wenig herausgekommen. „In jeder Organisation, das haben wir von der Industrie gelernt, geht man von Visionen, Zielen und Strategien aus. Doch Ziele niederzuschreiben hilft nichts, wenn die Maßnahmen fehlen.“ Er bringt als Beispiel die Migrationspolitik. „Es gibt viele Zielsetzungen, aber es fehlen die Maßnahmen. Man geht daher gleich zu den beste10/2022 | CHEFINFO | 23 FOTO: VIVATIS HOLDING AG COVERSTORY 12 Prozent der Wertschöpfung werden von der Bürokratie verschlungen. Es sind oft die vielen kleinen Nadelstiche, die Betriebe zur Verzweiflung bringen. Doris Hummer Präsidentin WKOÖ Ô Der Bürokratiekostenindex der Weltbank erhebt den Effizienzgrad der eingesetzten Gelder. Hongkong Singapur Georgien China Niederlande* Deutschland USA Österreich Platz 1 Platz 2 Platz 3 Platz 4 Platz 7 Platz 41 Platz 42 Platz 44 *Bestes Land der EU BÜROKRATIEKOSTEN

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