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4/2023 | CHEFINFO | 25 24 | CHEFINFO | 4/2023 FOTOS: NATALYA BOSYAK / ISTOCK / GETTY IMAGES PLUS, PERTLWIESER/BTU, BERND SPETA COVERSTORY COVERSTORY Von der „Gstättn“ zum Fußballtempel Ein Beispiel der Transformation von der New zur Old Economy ist die Linzer Tabakfabrik. Wo einst Rauchwaren industriell gefertigt wurden, rauchen heute nur noch die Köpfe der Kreativen. Teil der alten „Tschickbude“ war auch der 1934 gegründete SV Austria Tabak. Auf dessen Fußballplatz, dem späteren Donauparkstadion 1997 der FC BlauWeiß Linz einzog. Ein Bretterzaun, ein Klocontainer, ein Sektor namens „Sudererhügel“ und nur eine Dusche für Heim- und Auswärtsmannschaft. Nirgendwo in Oberösterreichs Sportwelt wird die Transformation sichtbarer als aktuell beim Stahlstadtklub, der mit dem neuen Hofmann Personal Stadion in „eine neue Ära“ aufbricht, wie die Plakatkampagne verspricht. Wortwörtlich blieb kein Stein auf dem anderen, wie im Fußball generell. Infrastrukturell und sportlich transformierte man sich vom Viertligisten zum Aufstiegskandidaten in Liga 1. Vom „Outwachler“ zum VAR Fußball steht in einem Spannungsfeld aus Tradition und Moderne. Geschäftsführer Christoph Peschek: „Die Spielregeln von 1848 sind wichtig, damit der Fußball nachvollziehbar bleibt. Jeder kennt die Regeln, sie sind einfach, und jeder kann selber Fußball spielen. Man sollte immer Tradition und Moderne verbinden, gleichzeitig ist das Bewahren von Werten wichtig. Ein Klub darf nie beliebig sein.“ Dennoch transformierte sich der gesamte Sport. Statt „flach spielen und hoch gewinnen“, bespielen heute flexible Doppel-Sechser in Rauten die Box. Statt der Champions League gab es den Meistercup, in dem der ideelle Vorgängerklub, der SK VÖEST Linz, 1974 als amtierender Meister dem FC Barcelona ein 0:0 abringen konnte. Und was macht das mit den Fans? „Die Gesellschaft als solches wird differenzierter, das ist auch bei Fußballfans so.“ Daher muss man der Klientel und neuen Zielgruppen „entsprechenden Service und Professionalität bieten“. Die Maurerforelle hat ausgedient: „Der Anspruch an die Hospitality ist deutlich gestiegen.“ Die Devise: So viel Fanservice und so viel Fan-Experience wie möglich.“ Old School und New Economy muss kein Widerspruch sein Fußballklubs transformieren sich zu modernen Dienstleistern: „Ein Klub hat drei Handlungsfelder: Strategie, Infrastruktur und Personal. Die Fans sind wichtig, doch genauso die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.“ Selbst im Fußball kommt man daher an der digitalen Transformation nicht vorbei. „Mit der neuen Fan-App wollen wir den Kontakt zu den Fans intensivieren.“ Weitere innovative digitale Formate sind angedacht. Die künftige Heimstätte soll daher zum Testimonial für neue Ideen werden. Die Wurzeln bleiben für Peschek aber unangetastet: „Fußball ist der populärste Sport des Landes und hat damit eine klare soziale Verantwortung.“ Und nicht nur die: Die Bundesliga mahnte erst kürzlich von den Klubs mehr Nachhaltigkeit ein. Das neue Hofmann Personal Stadion ist da bereits einen Schritt voraus: Die Bauweise auf einem Möbellager verhinderte Flächenversiegelung – die Rasenfläche wurde durch den Neubau sogar vergrößert –, dazu gibt es LED-Beleuchtung und Solarpaneele, die auch die nahe gelegene Tabakfabrik mit Strom versorgen sollen. Würde Heraklit von Ephesos heute auf der VIP-Terrasse des Stadions stehen, würde er zur Donau hinabblicken und „Panta rhei – alles fließt“ ausrufen, denn so wie Wasser die Donau hinabfließt, fließt auch die Veränderung der Gesellschaft und der ganzen Welt – und das ist gut so. n CHEFINFO: Vom Sauspitz und Eisenbahnerschmäh zur digitalen Analyse der Bewegungsabläufe: Fußball hat sich global betrachtet extrem verändert. Wie stehen Sie zu dieser Transformation? Christoph Peschek: Im Profifußball gab es einen ständigen, kontinuierlichen Prozess der Professionalisierung. Heute gibt es spezielle Ernährungsberatung für die Spieler, ja, sogar Schlafberatung, es wird die Laufintensität gemessen, ebenso wie expected goals bis hin zur Fan-Experience – es hat sich fast alles im Spitzenfußball verändert. Je komplexer das wird, desto größer ist die Gefahr, dass man Fans auf dieser Reise verliert. Deshalb ein klares Ja zur Professionalisierung und zur Transformation, gleichzeitig braucht es aber eine Verwurzelung bei den Fans. Diese Verwurzelung wird aber immer volatiler. Kinder tragen einmal ein Liverpool-Trikot, dann eines von Bayern oder Barcelona. Peschek: Der mediale Fokus liegt heute mehr auf den internationalen Ligen. Es gibt eine leichtere Teilhabe durch diverse TV-Angebote, dazu kommt das Thema der Migration und der familiären Fanverbindungen. Natürlich ebenso dass Fußballspieler über Social Media eine deutlich höhere Einzelrelevanz haben als noch vor einigen Jahren. Man ist nicht mehr nur Fan von Vereinen, sondern auch von Spielern, und die Menschen bewegen sich mit den Spielern auch zum jeweiligen Verein. Umso wichtiger ist es, als Fußballklub bei dieser Fantransformation Schritt zu halten. Das ist kein Selbstläufer. Es bedarf aktiver Fanarbeit. Es gab in den letzten Jahren eine gewaltige Transformation bei der Athletik der Spieler und den Spielsystemen. Ist das Potenzial nicht irgendwann einmal ausgereizt? Peschek: Fußball ist ein Spiegel der Gesellschaft und der gesellschaftlichen Entwicklungen. Diese immer größer werdende Dynamik erlebt man auch im Spiel, in der Intensität am Feld, und im Drumherum. Wann man am Ende der Fahnenstange angelangt ist, kann ich nicht beantworten, aber durch die Verwissenschaftlichung des Fußballs kommen neue Erkenntnisse dazu, bis hin zu wissenschaftlichen Analysetools, wo man alles messen kann. Der Fußball wird sich daher sicher weiterentwickeln. Wohin könnte diese Weiterentwicklung führen bzw. wie weit kann sich der Fußball noch transformieren? Peschek: Ich sehe Chancen und Risiken – wie immer im Leben. Die Ökonomisierung des Fußballs wird voranschreiten, doch dabei sollte man nie die Nachvollziehbarkeit, die Verwurzelung und Erdung in der Gesellschaft vernachlässigen. Es gab schon eine spannende Diskussion rund um die WM in Katar. Ich halte es für wesentlich, dass der Fußball so einfach wie möglich bleiben muss, gleichzeitig werden die Professionalisierung und die damit verbundene Transformation weitergehen. Verwurzelung ist immer identitätsstiftend, und das gibt einen unglaublichen gesellschaftlichen Mehrwert. FUSSBALL. Der Fußball ist ein Spiegel unserer Gesellschaft und steht, wie sie selbst, in einem Transformationsprozess. Christoph Peschek, Geschäftsführer von FC Blau-Weiß Linz, erklärt, warum es „geerdete“ Transformation braucht. „Transformation braucht Wurzeln“ Ich halte es für wesentlich, dass der Fußball so einfach wie möglich bleiben muss, gleichzeitig werden die Professionalisierung und die damit verbundene Transformation weitergehen. Christoph Peschek Geschäftsführer FC Blau-Weiß Linz Christoph Peschek sieht eine Transformation des Fußballs zu mehr Professionalität, doch: „Verwurzelung ist immer identitätsstiftend, und das gibt einen unglaublichen gesellschaftlichen Mehrwert.“ Tradition trifft Moderne: Dort, wo sich 1935 der erste Platz des SV Austria Tabak befand, zieht der FC Blau-Weiß in wenigen Wochen in eines der modernsten Stadien ein.

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