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4/2023 | CHEFINFO | 17 16 | CHEFINFO | 4/2023 FOTO: NATALYA BOSYAK / VOYATA / ISTOCK / GETTY IMAGES PLUS, JKU COVERSTORY Heraklit galt als der „weinende Philosoph“, weil er die Veränderung, die er prophezeite, immer mit Schmerzen verbunden sah. Lieb gewonnene Verhaltensweisen müssen weichen, um in eine neue Ära aufzubrechen – ein dialektischer Prozess. Und auch wenn dieser Prozess Schmerzen bereitet, ist er notwendig, oder wie Einstein meinte: „Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu belassen und zu hoffen, dass sich etwas ändert.“ Cinematic Rendering: Großes Kino im Hörsaal Franz Fellner zeigt diese Transformation alleine schon mit seinem „Arbeitsgerät“ vor. Welcher Universitätslehrer kann schon von sich behaupten, sein wichtigstes Werkzeug bei Vorlesungen sei ein Game-Controller? Mit dem Steuergerät einer X-Box-Spielkonsole lotst Professor Fellner Studierende durch den menschlichen Körper. Der Dekan der Medizinischen Fakultät der JKU und Vorstand des Zentralen Radiologie Instituts am Kepler Universitätsklinikum ist in seinem Element. 3D-Brillen schaffen eine Art Kinoerlebnis im Studienbetrieb. Fellner steht im neuen medSPACE, der als Attraktion im Linzer Wissenschaftsbetrieb gilt und weltweit Beachtung findet. Hautoberfläche, Muskeln, Blutgefäße, Organe, Knochen: Die fotorealistischen, dreidimensionalen Bilder werden per Cinematic Rendering aus MRT- und CT-Scans echter Patienten berechnet und überlebensgroß dargestellt. Die Visualisierungen sind beliebig drehbar und bis zum kleinsten Gefäß in einer Gehirnregion stufenlos zoombar. Sie erlauben Studierenden einen völlig neuen Blick auf den menschlichen Körper. Liveschaltungen in OP-Säle machen den medSPACE der JKU zur Bühne und einem Labor der Zukunft zugleich. Dank der digitalen Vernetzung können auch Experten aus aller Welt live bei schwierigen Eingriffen zugeschaltet werden. All das ist das Ergebnis eines innovativen Gemeinschaftsprojekts: Initiiert wurde es von Franz Fellner, der auch den neu geschaffenen Lehrstuhl für Virtuelle Morphologie seit November innehat. Die Expertise kam vom Ars Electronica Futurelab in Zusammenarbeit mit Siemens Healthineers. Medical Metaverse: Der perfekte digitale Zwilling „Die Technologie des Cinematic Renderings, die Professor Fellner gemeinsammit demArs Electronica Futurelab und Siemens entwickelt hat, ist Cutting Edge und die Zukunft der medizinischen Lehre“, ist Meinhard Lukas, Rektor der Johannes Kepler Universität, überzeugt. Er vergleicht die Entwicklung mit dem Metaversum, diesem digitalen Raum, in demMenschen als Avatare in einer virtuellen Realität miteinander interagieren können. Für Lukas ist dieses in Linz erschaffene Medical Metaverse aber viel mehr: Es bietet einen ganz konkreten Nutzen imWechsel zwischen realer und virtueller Welt. „Wir switchen von der virtuellen Welt der perfekten Bilder eines echten Patienten, die Franz Fellner und andere erschaffen haben, in die ganz reale Welt des menschlichen Herzens, das während der OP durch die HerzLungen-Maschine ersetzt wird. In der Industrie sprechen wir viel vom digitalen Zwilling. In Wahrheit ist das Cinematic Rendering der virtuellen Anatomie der perfekte digitale Zwilling“, sagt Lukas. Es sei auch der Ausdruck eines ganz wichtigen Prinzips an der JKU, nämlich die forschungsgeleitete Lehre. „Wenn Studierende erkennen, was an ihrer Wirkungsstätte an Forschung passiert, dass sie quasi mitten in den Forschungslaboren stehen, so ist das ein enormer Motivationsschub für junge Menschen in einem sehr anspruchsvollen Studium“, so Lukas. Sprung in den digitalen Aggregatzustand Die Bedeutung dieser Technologie für den Standort könne man gar nicht hoch genug einschätzen, „weil ein kleines Land wie Österreich den Sprung in diesen digitalen Aggregatzustand wirklich geschafft hat“, sagt Lukas. Gerade in der Medizin sei die digitale Transformation ein riesiges Thema, etwa in der Pflege – Stichwort Robotik –, aber auch in anderen Bereichen. Besonders faszinierend findet Lukas, dass aus Bildern von herkömmlicher Computertomografie und anderen bildgebenden Technologien die Möglichkeit besteht, den individuellen Menschen mit seinen individuellen Erkrankungen in 3D sichtbar zu machen. Genau diese Bilder sind dann wiederum für Spezialisten der Neurochirurgie die Basis, um punktgenau im Nanomillimeterbereich zu arbeiten. „Ich glaube, bei den Einsatzmöglichkeiten stecken wir noch in den Kinderschuhen, das geht bis hin zu Patientengesprächen. Das ist ein Meilenstein in der Entwicklung der Diagnose, aber auch bei Therapieansätzen.“ Für den Standort Linz sei das enorm wichtig, bei einer solchen Technologie vorne dabei zu sein. „Wir werden in Österreich und Europa nie die Pioniere gesamter KI-Strategien sein, da sind wir nicht konkurrenzfähig, obwohl wir in Linz zu COVERSTORY Medical Metaverse: 3D-Bilder aus dem Innenleben des menschlichen Körpers. Mit dieser Transformation im Hörsaal hat Linz weltweit die Nase vorn. Ô

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