chefinfo 10-22

CHEFINFO: Der ZusammenbruchderUS-Kryptohandelsbörse FTX soll 190 Milliarden Dollar am globalen Kryptomarkt vernichtet haben. Wie konnte das passieren? Niko Jilch: ImWindschatten von Bitcoin hat sich ein riesiger Sektor entwickelt, in dem sich auch Abzocker, Betrüger und Bauernfänger tummeln. Was wir bei FTX gesehen haben, ist dieselbe Kategorie, wie wir sie bei den großen Betrugsskandalen der klassischen Finanzwelt kennen. Man denke an Namen wie Enron, Bernie Madoff oder zuletzt auch Wirecard. Das klingt, als hätte der FTX-Crash mit Kryptowährungen nichts zu tun? Jilch: Jein. Der Kryptobereich ist unreguliert und undurchsichtig. Kundengelder können verzockt werden, ohne dass es gleich auffällt. Gäbe es nur Bitcoin, wäre eine Handelsbörse wie FTX niemals so groß geworden. Im Kryptobereich kann jeder seine eigene Coin kreieren, ihr einen Fantasienamen geben, Freunden für einen Cent verkaufen und den Erfolg bewerben, bis der Preis auf einen Euro steigt. Das ist ein klassisches Pump-and-DumpScheme, eine Marktmanipulation, die bei Kryptowährungen laufend zu beobachten ist. Bei Bitcoin ist das nicht möglich, weil deren Anzahl von Anfang an limitiert und nicht zusätzlich erzeugbar ist. Ist das ein Lehman-Moment für die Kryptobranche? Jilch: Ja. Es ist davon auszugehen, dass mehrere dieser Börsen und andere Projekte innerhalb dieses Bereichs in Schieflage geraten werden. Beschleunigend auf diese Entwicklung wirken die steigenden Zinsen. Das Geld wird knapper gemacht und generell wird Spekulation aus dem Markt genommen. Das trifft alle Risikobereiche an den Finanzmärkten und speziell die Kryptomärkte. Es gibt aber einen 10/2022 | CHEFINFO | 61 60 | CHEFINFO | 10/2022 WIRTSCHAFT FOTOS: STEFANI REYNOLDS / AFP / PICTUREDESK.COM, BRUTKASTEN_C_SCHAUER-BURKART, BFA / ACTION PRESS / PICTUREDESK.COM FTX war eine der größten Krypto-Handelsbörsen der Welt, die Pleite könnte einen Dominoeffekt auf den gesamten Sektor haben. FTX-Crash FINANZMÄRKTE. Bitcoin & Co sind angetreten, ein besseres, stabileres Finanzsystem zu etablieren als das gegenwärtige. Gekommen ist ein digitales Casino. Was ist schiefgelaufen? INTERVIEW: Klaus Schobesberger Ist dies das Ende von Krypto? ZUR PERSON Niko Jilch ist Finanz- journalist mit Fokus auf die Digitalisierung von Geld und Wirtschaft. Mit „Was Bitcoin bringt“ betreibt er einen der populärsten Podcasts und YouTube-Kanäle zum Thema Bitcoin. entscheidenden Unterschied: Die Notenbanken springen im Notfall ein und werfen um den Preis der Geldentwertung die Notenpressen an, um die Banken zu retten. Bei Krypto gibt es keine letzte Instanz, die zu Hilfe eilt. Hier wird der Markt gnadenlos arbeiten. Deshalb fliegen viele Buden in die Luft, die nicht damit gerechnet haben, dass die Preise ihrer KryptoAssets indenKeller rasseln. Es ist nicht das erste Mal, dass in der Kryptowelt derartiges passiert, aber es ist das erste Mal auf diesem Level, auf diesem Geldniveau. Wer wird alles von diesem Crash betroffen sein? Jilch: In erster Linie jene Leute, die auf FTX investiert haben. Sie werden ihr Geld wohl nicht wiedersehen. Dann alle Anleger, die in Bitcoins und Kryptos allgemein investiert haben. Diese Pleite hat einen brutalen Preisverfall zur Folge, erschüttert das Vertrauen und macht Investoren nervös. Hat das auch Auswirkungen auf die normale Finanzwelt? Schwer zu sagen. Es kann sein, dass viele Leute jetzt wieder vermehrt Aktien kaufen werden. Aber dass Banken in Schieflage geraten könnten, ist unwahrscheinlich, dafür ist der Krypto-Sektor zu klein. Jene, die immer schon vor Kryptowährungen gewarnt haben, fühlen sich jetzt bestätigt. Andere wie Sie glauben aber, dass aus den Trümmern des Krypto-Crashs sich nur Bitcoin erheben wird. Warum? Jilch: Ich vergleiche Bitcoin immer gerne mit Red Bull. Beide waren die Ersten ihrer Art und hatten Tausende Nachahmer. Am Ende ist Red Bull übrig geblieben. Das Original überlebt, die Nachahmer sind verschwunden. Genauso wird es meiner Meinung nach im Kryptobereich auch passieren. Was wir mit FTX erleben, ist quasi ein Symptom dafür. Da werden viele daran erinnert, dass Bitcoin anders ist als der Rest. Weil ichmeine Bitcoins nicht an der Börse liegen habe, sondern in einem Wallet. Ich kann auch bei Bitcoin für nichts garantieren, aber diese Innovation hat sich bewährt. Hab erst vor Kurzem mit jemandem gesprochen, der als digitaler Nomade um die Welt reist und Bitcoin als Zahlungsmittel verwendet. Es ist etwas anderes als Krypto. Changpeng Zhao, kurz CZ, Boss der weltweit größten Kryptobörse Binance, drängt auf Regulierung seiner Plattform. Könnte das den Markt stabilisieren? Jilch: Das Problem ist, dass FTX-Gründer Sam Bankman-Fried, also jenerMann, der die Gelder seiner Kunden versenkt hat, auch auf eine Regulierung gedrängt hat. Er war der zweitgrößte Spender der Demokratischen Partei in den USA. Er hat vor dem US-Kongress gesprochen, hatte beste Verbindungen zu den US-Behörden, war auf allen Magazin-Covers und wurde gefeiert wie ein Star. Und warum drängte er auf eine Regulierung? Er wollte sein Geschäftsmodell beschützen. Dasselbe versucht nun Binance. Ist alles schlecht? Wie sieht es in Österreich aus? Jilch: Nein, weil die deutsche Regulierung immer ein bisschen zu streng war, hat sich in Österreich ein Startup-Sektor mit einigen großartigen Krypto- und Bitcoinfirmen herausgebildet. Bitpanda ist eine der größten Plattformen in Europa, Coinfinity ist einer der ältesten und seriösesten Bitcoinbroker. Österreich hat mit 21Bitcoin aus Salzburg eine der aufregendsten neuen Apps und Blockpit aus Linz ist eine Servicefirma, die wirklich super Arbeit macht und genau das liefert, was sie als Anleger für die Steuererklärung brauchen. In Innsbruck hatten wir im September die größte deutschsprachige Bitcoinkonferenz mit fast 900 Teilnehmern. Es tut sich wahnsinnig viel und auch sehr Positives. n FTX-Gründer Sam Bankman-Fried, kurz SBF, umgab sich gerne mit Stars und Berühmtheiten. Hier ist er mit Gisele Bündchen auf den Bahamas zu sehen. Niko Jilch Podcaster und Finanzjournalist Es ist nicht das erste Mal, dass in der Kryptowelt derartiges passiert, aber es ist das erste Mal auf diesem Level, auf diesem Geldniveau.

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