Chefinfo Magazin 02-22

2/2022 | CHEFINFO | 73 72 | CHEFINFO | 2/2022 METAVERSE. Mark Zuckerberg will eine wunderbare neue virtuelle Welt erschaffen – das Metaverse. Was steckt dahinter? Welche Chancen und Gefahren birgt es? Und was hat ein Roman von 1992 damit zu tun? FOTOS: JKU, THINKHUBSTUDIO / ISTOCK / GETTY IMAGES PLUS IT & MORE IT & MORE G eht es nach Mark Zuckerberg werden wir schon bald eine bunteWelt namens „Metaverse“ mit unseren Avataren bevölkern. Dieses Metaverse gibt es bereits, und zwar in der Literatur. 1992 schrieb Neal Stephenson den Roman „Snow Crash“, ein dystopi­ scher dunkler Roman samt Mafiastruk­ turen, Söldnerheeren, Sektenkult, Dro­ gen und Todesstrafe bei unpünktlicher Pizzalieferung. In Stephensons Werk wurden die Nationalstaaten von Privat­ unternehmen abgeschafft. Um der bein­ harten Realität zu entfliehen, gehen die Protagonisten in das „Metaverse“, eine vir­ tuelle Parallelgesell­ schaft, in der sie eine Verschwörung auf­ decken. So viel zur Fiktion, doch wie ist es um die Reali­ tät bestellt? Kann der Meta-Konzern (Face­ book, Instagram, WhatsApp …) unsere Gesellschaft beeinflussen, ja gar beherr­ schen – oder geht es nur ums Geld? Auch virtuelle Welten sind real Uli Meyer, Abteilungsleiter am Institut für Soziologie an der JKU, schickt vor­ aus: „Technologie, mit Ausnahme der Militärtechnologie, ist nie per se böse oder gut. Es hängt davon ab, was man damit macht. Metaverse ist die Idee des Meta-Konzerns, der selbst gestal­ tet und kontrolliert, und das ist hoch­ problematisch. Solche Plattformen sind primär im Interesse der Unternehmen ausgestaltet.“ Meyer erinnert Metaver­ se frappierend an das bereits vor 15 Jah­ ren entstandene „Second Life“, eine Art „zweite Lebenssimulation“. „Doch auch die Prognosen von Second Life haben sich nicht bewahrheitet.“ Trotzdem gibt Meyer Grundsätzliches zu bedenken: „Die Gegenüberstellung von Realität und virtueller Welt funktioniert nicht. Auch virtuelle Welten sind real. Im Gegenteil: Virtuelles wird oft als realer und rele­ vanter angesehen, etwa die Zahl der Fol­ lower oder Likes.“ Der Professor glaubt deshalb nicht an einen Kontrast zwi­ schen physischer und virtueller Welt, sondern an ein Verschmelzen. Viele virtuelle Welten statt einem Metaverse Die Frage, wie fast immer bei Technolo­ giesprüngen, ist die Ausgestaltung. „Wenn wir eine volle virtuelle Welt hätten mit eigener Wirtschaft, Währung, Kunst und Kultur, die von einem Unternehmen geprägt ist, wäre das fatal. Wir könn­ ten statt auf diese eine virtuelle Welt auf potenziell konstruktive Formen von virtu­ ellen Welten setzen und tun das bereits. Wir können über große Distanzen im vir­ tuellen Raum zusammenarbeiten, und in der Psychotherapie gibt es Ansätze, mit virtuellen Tools bestimmte problemati­ sche Teile der Welt auszublenden.“ Virtu­ elle Realitäten werden außerdem erfolg­ reich in der Schule und beim Lernen eingesetzt. „Es kommt also darauf an, was man daraus macht.“ Natürlich gibt es auch heute bereits Schattenseiten dieser virtu­ ellen „Parallelwelt“. „Heute kauft man sich Skins in Computerspielen, um besser oder reicher auszusehen. Das gab es schon bei Stephenson.“ Auch im Metaverse könn­ te es laut Meyer zu hyperkapitalistischen Tendenzen kommen, Ungleichheit wird dort wohl ebenso wenig beseitigt wie in der physischen Welt, doch: „Wir könnten uns eine ganz andere Form von Gesell­ schaft überlegen. Technisch ist es nicht notwendig, eine kapitalistische Logik in eine virtuelle Welt zu übertragen.“ Sexuelle Belästigung in VR-Games Und auch der Schein einer „sauberen virtuellen Welt“ wird sich laut Meyer nicht aufrechterhalten lassen: „Es gibt schon erste sexuelle Belästigungen in der virtuellen Welt, gerade von Min­ derjährigen, etwa bei VRChat oder Horizon Worlds. Da mussten bereits Mindestabstände bei den Avataren eingeführt werden. Wir nehmen also alles Positive und Negative mit hin­ über.“ Positiv empfindet Meyer etwa die Möglichkeit, Identitäten zu tau­ schen: „Das könnte dazu führen, mehr Empathie zu entwickeln. Es kann aber auch das Gegenteil passieren.“ Face­ book selbst ist ein solches Beispiel aus positiver und negativer Ausgestaltung technischer Möglichkeiten. „Im Ara­ bischen Frühling wurde Facebook als demokratisches Instrument gefeiert. Ein paar Jahre später wird es für den Untergang der Demokratie verteufelt. Es stimmt beides. Es wird von allen genutzt, auch von Kriegspropaganda. Die Wahrheit stirbt immer als Erstes. Natürlich finden wir es sympathischer, wenn die Ukraine statt Russland die Wahrheit manipuliert, aber es ist das Gleiche.“ Die identische Verwendung der Technologie wird mit anderen Wer­ ten verbunden. Wohin die Reise geht, will Meyer nicht sagen: „Das ist unred­ lich“. Er gibt zu bedenken, dass es noch vor zwei Jahren unvorstellbar war, dass Atemschutzmasken von einem Teil der Bevölkerung als Symbol der Unterdrü­ ckung wahrgenommen werden, oder noch vor wenigen Wochen, dass es zu einem Krieg in Europa kommen könnte. Doch bei einem ist er sich sicher: „Wir werden immer mehr lokale, spezialisier­ te virtuelle Welten haben, in der Arbeit, Schule oder Freizeit. Diese Räume müs­ sen wir gestalten und das ist die große Herausforderung der Gesellschaft. Wir brauchen daher eine aktive Diskussion und Akteure, die den Prozess verste­ hen und begleiten. Das ist wichtiger als Zukunftsprognosen.“ Metapervers(e)? TEXT: Jürgen Philipp Ô Uli Meyer Abteilungsleiter Institut für Soziologie, JKU Wir könnten uns eine ganz andere Form von Gesellschaft überlegen. Technisch ist es nicht notwendig eine kapitalistische Logik in eine virtuelle Welt zu übertragen.

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