Chefinfo Magazin 02-2024

WIRTSCHAFT 2/2024 | CHEFINFO | 35 FOTOS: UNIVERSITÄT LEOBEN / AMRIPHOTO 2013, IMAGINIMA/ E+ / GETTY IMAGES CHEFINFO: Sie haben eine Professur für nachhaltige Bergbautechnik inne. Wie bewerten Sie den CRMA? Michael Tost: Als Forscher neutral. Er ist aber definitiv notwendig. Schlicht und einfach, weil wir als EU in den letzten Jahrzehnten unsere eigene Rohstoffversorgung vernachlässigt haben. Wir haben viel importiert und uns auf den globalen Freihandel verlassen. Das war billiger. Wir haben uns zudem am Kontinent Umweltaspekte erspart und diese in andere Länder verlagert. Das aktuelle Umdenken begann jedoch schon vor 15 Jahren, zu einem Zeitpunkt, als China den Export von seltenen Erden beschränkt hatte. Schon damals hat man begonnen, sich Rohstoffe strategisch im geopolitischen Kontext anzuschauen. Es wurden mehrere Programme in die Wege geleitet. Seitdem ist etwa bergbaurelevante Forschung in Horizon Europe beinhaltet, um den Bergbau in Europa in einem zukunftsfähigen Kontext kompetitiver aufzustellen. Die Kumulation all dieser Bestrebungen ist der CRMA. China war der Anfang, dann kamen die Verwerfungen während Corona und die dadurch resultierenden Lieferkettenprobleme, durch die Rohstoffe und Halbzeuge nicht mehr nach Europa kamen. Und schließlich Russland. Aus Russland beziehen wir nicht nur Öl und Gas, sondern auch Nickel, Titanium, Diamanten oder Aluminium. Aus der Ostukraine kommen Erze. Der CRMA ist notwendig, weil wir geostrategisch in einer multipolaren Welt gelandet sind. Es gibt alle zwei Jahre eine CRMA-Review, bei der die relevantesten kritischen Rohstoffe aufgelistet werden. 2011 waren es noch 14, 2023 sind es bereits 34. Man schaut sich an, wie viel davon man in der EU selbst abbauen kann bzw. welche Rahmenbedingungen es braucht. Der CRMA hat klare Ziele bis 2030. Nicht nur für den Bergbau, sondern auch für Weiterverarbeitung und Recycling. Inwieweit sind die Ziele der EU überhaupt realistisch? Tost: Aus meiner Sicht ist die 10-ProzentEigenquote nicht durch die Bank für alle 34 realistisch. Doch es ist auch Teil des CRMA, die Exploration zu fördern. Salopp gesagt wissen wir gar nicht, was wir alles haben. Die einzelnen Länder der EU sind dazu angehalten, nationale Explorationsprogramme zu betreiben. In Österreich ist das die Geosphere Austria. So sollen geologische Karten entstehen, auf denen man Potenziale sehen kann. Osteuropa etwa ist relativ unterexploriert, wie die EU generell in großen Tiefen unterexploriert ist. Wir wissen nur genau, was wir bis zu einer Tiefe von 500 Metern haben. Es schlummert also unbekanntes Potenzial unter dieser Grenze. Deshalb wird Forschung an neuen Explorationstechniken gefördert. Ebenfalls Bestandteil des CRMA ist eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren. Es gibt mittlerweile One-Stop-Shops, also nur noch eine Behörde, die dafür verantwortlich ist. In maximal zwei Jahren plus einem Puffer für unvorhersehbare Ereignisse von drei Monaten zusätzlich soll es abgeschlossen werden. Aus der Lehre wissen wir, dass solche Verfahren bisher drei bis fünf Jahre dauerten. Bei welchen Rohstoffen könnte sich Europa auf Perspektive selbst versorgen? Tost: Bei Lithium ist es durchaus machbar, die aktuellen Zahlen zu überschreiten und sogar in Richtung Selbstversorgung zu kommen. Lithium kommt in Portugal und Spanien vor. Es gibt größere Projekte in Deutschland und Finnland, auch in Kärnten, wo ein australisches Unternehmen Lithium abbauen möchte. In Serbien gibt es zudem eines der größten Lithiumprojekte weltweit. Auch bei seltenen Erden wird an innereuropäischen Projekten gearbeitet, wie im schwedischen Kiruna. Dort gibt es einen großen Erzkörper, mit Eisen- „Wir wissen gar nicht, was wir alles haben“ Ô Der Professor für nachhaltigen Bergbau, Michael Tost, sieht eine Menge Potenzial, dass sich Europa bei der Rohstoffbeschaffung Schritt für Schritt unabhängiger macht. Michael Tost Universität Leoben Was nützt einem nachhaltig abgebautes Eisen, wenn es im schlimmsten Fall in einen russischen Panzer verbaut wird?

RkJQdWJsaXNoZXIy NzkxMTU1