CHEFINFO 04_Mai 2024

FOTOS: XXXXXXXX FOTOS: WIFO, BFK92 / E+ / GETTY IMAGES, BFK92 / ISTOCK / GETTY IMAGES PLUS MANAGEMENT Der deutsche Auswanderer August Engelhardt reiste 1902 auf die Südseeinsel Kabakon. Überzeugt von der Kraft der dort überall wachsenden Kokosnuss gründete er auf Kabakon eine Sekte – den Sonnenorden – samt eigener Bewegung namens Kokovorismus. Engelhardt und seine Jünger dachten, dass der ausschließliche Verzehr der Tropenfrucht gepaart mit konsequentem Nudismus sie in unsterbliche Lichtwesen verwandeln würde. Kopfbedeckungen waren verboten, denn das Hirn, so Engelhardt würde sich durch die Haarspitzen nähren, weil diese am nächsten an der Sonne seien. Was das mit der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) der EU – bekannter als Lieferkettenrichtlinie – zu tun hat? Die Nachfrage nach Kokosprodukten in Europa steigt rasant. Als Superfood bezeichnet, ist der Hunger nach Kokosmilch, Kokosflocken oder als Bestandteil von Kosmetika explodiert. Doch Kokosnüsse sind schwer zu ernten. Es gibt keine Maschinen dafür. Die Ernte wird mit viel Handarbeit eingeholt. Oxfam schätzt, dass 60 Prozent aller Kokosnussbauern auf den Philippinen in bitterer Armut leben. Ihnen sei der Zugang zu Bildung verwehrt und sie werden von den Zwischenhändlern extrem schlecht bezahlt. Dazu kommt es regelmäßig zu Arbeitsunfällen, weil viele Bauern nicht richtig sturzgesichert seien. Ähnliches wird aus dem Avocadoanbau und von Nussfarmen berichtet. Während Befürworter der CSDDD eine Verbesserung der Arbeits- und Anbaubedingungen erwarten, rechnen andere mit einer deutlichen Verteuerung der Produkte. Doch was beinhaltet die CSDDD überhaupt? Sie verpflichtet Unternehmen, ihre Lieferketten auf Nachhaltigkeit und ethische Prinzipien zu überprüfen. Umwelt, Klimaschutz und Menschenrechte müssen lückenlos dokumentiert werden. Gesprengte Ketten Das Thema reißt auch politische und ideologische Gräben auf. „Mit einem deutlich überzogenen Etikettenschwindel werden dann irrwitzige politische Entscheidungen durchgedrückt, die unsere Gesellschaft und unseren Standort Österreich nachhaltig verändern und schwächen. IrgendVon LIEFERKETTENRICHTLINIE. CSDDD lässt keinen kalt. Wurde ein Bürokratiemonster geschaffen? Sind KMU davon überhaupt betroffen? Wie kann man den Aufwand pragmatisch lösen und was haben Kokosnüsse damit zu tun? TEXT: Jürgen Philipp MONSTERN, KETTEN und KOKOSNÜSSEN welche ‚Nachhaltigkeitsberichte‘ und das ‚Lieferkettengesetz‘ belasten unsere Unternehmer enorm“, heißt es in einer Aussendung der Freiheitlichen Wirtschaft. Deren Obmann Matthias Krenn sieht darin sogar, dass „sich eine zerfledderte ÖVP für die marxistische Babler-SPÖ schmückt.“ Die Sozialdemokraten sehen das naturgemäß anders. Die außenpolitische Sprecherin Petra Bayr meint: „Unternehmen haben nicht nur eine Verantwortung gegenüber jenen Angestellten, die in Europa in der Unternehmenszentrale arbeiten, sondern für alle entlang der Lieferkette. Es kann nicht sein, dass Unternehmen in der EU von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Dank des neuen Gesetzes werden diese Unternehmen in Zukunft schadenersatzpflichtig sein.“ KMU nicht betroffen, oder doch? Am 24.4.2024 wurde die CSDDD im EUParlament beschlossen. Vorerst betrifft sie nur Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von mehr als 450 Millionen Euro. Der ursprüngliche Entwurf sah Unternehmen ab 500 Beschäftigten und einem Umsatz von mehr als 150 Millionen Euro vor. Österreichs Wirtschaft ist bei den letztgültigen Rahmenkennzahlen scheinbar nur gering betroffen, die allermeisten Unternehmen fallen unter diese Grenzen. In Österreich zählt ein Unternehmen statistisch ab 250 Mitarbeitern als Großunternehmen. Statista zählt deren ca. 1.890, also nur 0,3 Prozent aller Unternehmen im Lande. Rosemarie Schön, Leiterin der Abteilung Rechtspolitik der WKO, sieht das aber nur theoretisch so. Die formale Ausnahme von Klein- und Mittelbetrieben sei, so Schön, in der Praxis irrelevant, wenn die Verpflichtungen von betroffenen größeren Unternehmen entlang der Lieferkette weitergegeben werden müssen. In der Fachsprache nennt man das Trickle-down-Effekt. „Besonders für KMU sind die Bürokratie und Dokumentationspflichten schon jetzt schwer verkraftbar. Es darf kein Gold Plating geben: Der administrative Aufwand und die Kosten für Verwaltungsvorschriften müssen bei der nationalen Umsetzung des Lieferkettengesetzes in Österreich so gering wie möglich gehalten werden.“ Das sieht auch WIFO-Direktor Gabriel Felbermayr so. „Ich hätte mir ein starkes Gesetz gewünscht, das bei den Lieferanten ansetzt, nicht bei den Lieferbeziehungen. Schade. Diese Lösung ist teuer und wenig effektiv.“ Pandemie und globale Krisen forder(te)n transparente und saubere Lieferketten. Mit dem CSDDD wird dies zur Pflicht. Ô 66 | CHEFINFO | 4/2024 Ich hätte mir ein starkes Gesetz gewünscht, das bei den Lieferanten ansetzt, nicht bei den Lieferbeziehungen. Schade. Diese Lösung ist teuer und wenig effektiv. Gabriel Felbermayr Direktor WIFO

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