CHEFINFO 04_Mai 2024

WIRTSCHAFT FOTOS: ROMOLOTAVANI / EVHENIIA VASYLENKO / ISTOCK / GETTY IMAGES PLUS, BUNDESSTELLE FÜR SEKTENFRAGEN WIRTSCHAFT 4/2024 | CHEFINFO | 25 dem richtigen Mindset. Habe ich den nicht, dann ist eine innere Blockade mein Problem.“ Für diese gibt es meist eine weitere Lösung im Bauchladen. „Die Leute glauben dann wirklich, dass sie ein Problem haben.“ Das Ganze funktioniert perfide. „Wenn du nicht 40.000 Euro für dein Richland Mindset ausgibst, dann fehlt dir das Commitment. Du bist nur halbherzig dabei. Alles wird mit dem Gesetz der Anziehung erklärt. Das ist so, als würde ein Techniker eine Solaranlage montieren, und wenn die nicht funktioniert, sagt der Monteur: ,Du glaubst nicht stark genug an die Kraft der Sonne.‘“ 20.000 Unternehmen in Österreich Für Schiesser sind esoterische Geschäftspraktiken rein wirtschaftlich gesehen „perfekte Dienstleistungen und Produkte“. „Ich brauche keine Ausbildung, habe keine Materialkosten, kein Investment, keinen Personalaufwand und kann vieles schwarz machen. Oft geht es um Spenden oder einen ,Energieausgleich‘, um einen Impuls ans Universum zu senden.“ Und es gibt genügend Anbieter: Rund 20.000 Unternehmen von der Astrologie bis zum Tierkommunikator sind in der Branche vertreten. Damit sind Energetiker unter den Top 3 der EPU. Der Zugang ist relativ einfach. Der Gewerbeschein ist frei. Im Gegensatz zu anderen Branchen gibt es kaum Qualitätsstandards. Das ist nicht böswillig, sondern liegt in der Natur der Sache. „Die Qualität ist nicht messbar. Es gibt keine normale Geschäftsbeziehung wie anderswo, weil das Produkt meistens nicht greifbar ist. Wie will ich da Beschwerde gegen schlechte Arbeit erheben?“ Kommen Zweifel bei den Klienten auf, wird das – so Schiesser – oft auf das sich auflehnende Ego zurückgeführt. „Zweifel ist ein Zeichen für eine spirituelle Unvollkommenheit. Deshalb kommt es selten zu Verfahren, denn wenn es nicht funktioniert, liegt es am Klienten. Es wird viel mit Schuldgefühlen und emotionaler Manipulation gearbeitet.“ Das funktioniert in anderen Geschäftsfeldern kaum. Zudem sieht Schiesser, dass die EsoUnternehmer meist selbst an ihre Praktiken glauben: „Das wirkt dann für den Klienten umso authentischer.“ Die Expertin nimmt die Berufsgruppenvertretung allerdings in Schutz: „Es gibt Kriterien zum ethischen Umgang mit Klienten, da tut die Berufsgruppe wirklich viel.“ Qualität lässt sich nicht messen Der Konsumentenschutz ist in Streitfällen ziemlich zahnlos: „Viele schämen sich und verzichten von vornherein auf Rechtsmittel.“ Kommt es, selten, aber doch, zu einem Prozess, dann stehen Richter vor dem Dilemma, die Qualität zu beurteilen. Gibt es Verträge zwischen Klienten und Anbietern, dann „sind die meistens sehr gut gemacht. Man kommt nur schlecht heraus.“ Wie kurios das Thema „Messbarkeit“ sein kann, zeigt das Beispiel des Wiener Krankenhaus Nord. „Dort wurde um 95.000 Euro ein Energiering verlegt. Es kam ein anderer Heiler zur Baustelle und meinte: ,Ich spüre die Energie nicht. Ich hätte das besser und billiger gemacht.‘“ Was die Betreiber des Krankenhauses tatsächlich spürten, waren Spott und Hohn. Lebensgefährliche Heilsversprechungen? Die „großen“ Eso-Unternehmer in der Szene erfinden sich gerade neu. Statt Einzelsettings zu verkaufen, gehen immer mehr in die „Weiterbildung“. „Man verdient besser, wenn man andere Leute selbst zum Heiler ausbildet.“ Der Großteil der Branche beginnt meist mit einer nebenberuflichen Tätigkeit: „Oft aus einer Sehnsucht heraus, Menschen zu helfen, doch die allermeisten Ausbildungen im Sozialbereich sind schwer und langwierig. Die Abkürzung ist da oft die Traumaheilung. Meist beginnt es beim Geburtstrauma. Das ist Schuld an allem.“ Gefährlich wird es dann, wenn es um akute Krankheiten geht. „Diese werden oft eindimensional gesehen. So haben nach Meinung vieler Heiler Menschen deshalb Krebs, weil sie einen inneren Konflikt haben. Wenn Kranke ergänzend zu einer ärztlichen Behandlung alternative Methoden als Unterstützung wählen, ist das okay. Es gibt kranken Menschen das Gefühl, selber etwas zu tun.“ Passiert das nicht, kann es lebensgefährlich werden. Schulterzucken im Rechtssystem Solche Fälle poppen immer wieder auf. Hinterbliebene klagen, nur wenige haben Erfolg. „Manche esoterische Schulen bauen große, geschlossene Gemeinschaften auf. Es gibt viele Tote dadurch.“ Eine konkrete Schuld nachzuweisen ist komplex, etwa ob der Tod auch durch konventionelle Behandlung verhinderbar gewesen wäre, oder: „Wo war die Mitschuld der Gemeinschaft? Rechtlich ist das ganz schwer zu verfolgen. Es gibt meist ein Schulterzucken im Rechtssystem. Die Menschen sind erwachsen und können selbst entscheiden, was sie mit ihrer Gesundheit tun.“ Die Ablehnung der Schulmedizin und der Pharmaindustrie ist dabei ein Klassiker in der Szene. Das zieht immer mehr esoterisch-affine Menschen in einen Verschwörungsstrudel. „Sie bilden eine Blase, die sich gegenseitig bestärkt und gegenseitig Kunden zuschiebt. Und sie arbeiten mit der Angst. Viele predigen den Wirtschaftszusammenbruch, den Dritten Weltkrieg oder, dass uns 5G kontrolliert. Doch sie haben stets ein Mittel, mit dem man sich dagegen schützt. Das ist Teil der gegenseitigen Referenzierung. Man ist Teil einer Elite.“ Das System schützt sich damit selbst: „Es ist immunisierend, weil kritisches Denken und eigenständiges Handeln als selbstgefährdend propagiert wird.“ „Intellektueller Sitzstreik gegen die Realität“ Bestärkt werden die Zirkel durch eine sehr „ich-bezogene Zeit.“ „Es geht immer um das ganz persönliche Glück und die ganz persönliche Freiheit. Und wir leben in einem Optimierungswahn. Alles muss perfekt sein, der perfekte Partner, das perfekte Einkommen, das perfekte Glück.“ Das alles wird mit „magischem Denken“ versprochen. „Meine Worte sind Gedanken und meine Gedanken haben Macht. Das ist abergläubisches Denken und fast alle sind abergläubisch.“ Die Erosion der Großkirchen führte zu diesem Vakuum, das nun Individualreligionen füllen. „Österreich war immer stark katholisch geprägt und auch da gab es schon emotionale Erpressung: ,Wenn du nicht aufisst, weint das Jesuskind.‘“ Das wird oft ausgenutzt. „Die Grundprinzipien sind durchaus menschlich“, zeigt Schiesser Verständnis, denn: „Es ist eine Illusion, zu glauben, dass wir als Gesellschaft rational oder logisch sind. Es ist wie ein intellektueller Sitzstreik gegen die Realität.“ Wer braucht schon Ratio und Logik, wenn man sich Weisheit kaufen kann? Etwa mit dem „Thor The Viking King Transformationsritual“ bei Etsy. Sie sollten aber schnell sein, zum einen ist der Preis von 1.900 Euro auf 475,75 Euro gesenkt und es ist nur noch eines übrig. n Das ist so, als würde ein Tech- niker eine Solaranlage montieren, und wenn die nicht funktioniert, sagt der Monteur: ,Du glaubst nicht stark genug an die Kraft der Sonne.‘ Ulrike Schiesser GF Bundesstelle für Sektenfragen Es ist eine Illusion, zu glauben, dass wir als Gesellschaft rational oder logisch sind. Es ist wie ein intellektueller Sitzstreik gegen die Realität. Ulrike Schiesser GF Bundesstelle für Sektenfragen Es kommt so gut wie nie vor, dass sich kein Unternehmer aus einer Branche zum Interview wagt. Diesmal war es so weit. Für diese Story habe ich elf Unternehmen der Esoterikbranche angeschrieben – aber niemand hat sich gemeldet. Weder die Wahrsagerin, das Medium, die Steinheilerin, die Bioenergetiker, Tierkommunikatoren oder der Veranstalter von Esoterikmessen. Wahrscheinlich haben sie vermeintlich negative Vibes empfangen. Als Journalist sollte man immer die Metaebene einnehmen und beide Seiten hören, und daran halte ich mich auch. Doch wie kann man das, wenn einem niemand die Chance dazu gibt? Wahrscheinlich hat es – wie die Geschäftsführerin der Bundesstelle für Sektenfragen, Ulrike Schiesser, erzählt – damit zu tun, dass sich die Szene immer mehr verschließt. Der deutsche Esoterikexperte Matthias Pöhlmann meinte im „Sonntagsblatt“: „Esoterik und Verschwörung bilden ein Zwillingspaar.“ Als Vertreter der „Mainstream-Medien“ gehöre ich wohl nicht zu diesen exklusiven Zirkeln. KEINE ANTWORT IST AUCH EINE ANTWORT

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