Startup Chefinfo Magazin 3-23

COVERSTORY COVERSTORY FOTOS: IULIIA KANIVETS / VJOM / ISTOCK / GETTY IMAGES PLUS, LUKAS ILGNER / VERLAGSGRUPPE NEWS / PICTUREDESK.COM, FIVESQUARE rich Trefz ein Lied singen, nur starb er bereits 1885. Der deutsche Turnlehrer erfand das Fahrrad mit Tretkurbelantrieb. Doch er wurde dämonisiert. „Sie haben die unsinnigsten Regeln erfunden, weil man Angst vor dem Fahrrad hatte“, so Linner, der gleich eines nachschickt: „Mit einer Technologie muss sich auch die Gesellschaft mitverändern.“ „MIT DER TECHNOLOGIE MUSS SICH AUCH DIE GESELLSCHAFT ÄNDERN“ Der Datenwissenschaftler sieht gewisse Spielregeln als nötig an: „Regeln sind immer notwendig, wenn ich weiß, welche Auswirkungen sie haben, weiß ich das nicht, sind sie sinnlos. Regeln können unsinnig sein, wenn wir Menschen etwas falsch einschätzen.“ Linner spielt dabei die Gefahr, die hinter einer KI steckt, keinesfalls herunter: „Das wird eine Gefahr werden.“ Und er bringt ein Beispiel: „Der KI-Chatbot von Google hat sehr schnell gelernt. Und er hat schnell gelernt zu schimpfen.“ Auch der südkoreanische selbstlernende Chatbot „Lee Luda“ lernte von seinen Kunden. Die dort abgeladenen Tiraden verärgerter Kunden ließen ihn zum Rassisten werden. „Lee Luda“ wurde 2021 vom Netz genommen. „EU“PHORIEBREMSE? Es braucht also Regeln. Während es in den USA so gut wie kaum Regulatorien gibt, tritt Europa auf die „EU“phoriebremse. Schon im April 2021 hatte die EU-Kommission einen Gesetzesentwurf auf den Tisch gelegt, der Regeln für den Einsatz von KI vorsieht, den „AI-Act“. Ein Regelwerk, das alle möglichen Einsatzgebiete umfasst, von der Agrarindustrie bis zur Medizin. Zentral dabei die Unterscheidung in vier Kategorien: minimales, begrenztes, hohes und inakzeptables Risiko. Inakzeptabel wäre das Bewerten des Verhaltens von EU-Bürgern, wie es China für seine Staatsbürger eingeführt hat. Die restlichen Klassifizierungen sind hingegen heiß umfehdet. „Der AI-Act ist ein wichtiges Fundament, aber Innovationen unterliegen damit einem Bürokratieaufwand, da könnten wir an Geschwindigkeit verlieren, obwohl wir in Europa und in Österreich exzellente Forschungseinrichtungen und Top-Leute haben“, gibt Hans Peter Pichler zu bedenken. Und CTO Patrick Haidinger ergänzt: „In den USA startet man auf einer anderen Schwierigkeitsstufe – leicht bis mittel – in Europa ist das härter, aber der AI-Act hat seine Berechtigung und ist eine Chance, dass unsere Systeme zuverlässiger funktionieren und dahinter ein Wertekompass steht.“ 14 | CHEFINFO SPEZIAL Viele Ihrer Kunden kommen aus der Industrie. Wie sehr wissen diese um das Potenzial von KI bzw. wie wollen sie KI einsetzen? Pichler: Großunternehmen haben schon viel Expertise im Haus. Es geht um den Prozess. Sie wollen zum einen mit KI Fertigungs- undWertschöpfungsprozesse besser machen und zweitens ihre Produkte und Services verbessern. Ein Beispiel: EinMaschinenbauer kann mit dem Einsatz von KI diese bei der Inbetriebnahme so perfekt einstellen, dass er sie per Knopfdruck in Betrieb nimmt. Viele unserer Kunden sehen die Technologie als ein Hauptgegenmittel gegen den Fachkräftemangel. Mit KI können wir Produktionen wieder zurück nach Europa holen. Der Informatiker Andrew Ng meinte: „AI is the new electricity.“ Sie wird natürlich Strom nicht ersetzen, aber sie wird denselben Impact haben wie Strom damals. Haidinger: Der Begriff KI ist aus dem Bullshitbingo des Marketings entstanden, deshalb gab es anfangs vollkommen falsche Erwartungshaltungen zu KI-Systemen. Wir mussten früher im ersten Schritt den Unternehmen KI immer erst erklären. Sie stellten sich das oft als Allheilmittel vor. KI macht vieles möglich, aber nicht alles 100-prozentig richtig. Mittlerweile muss man nicht mehr viel erklären. Es scheint KI-Mythen zu geben. Die einen glauben, sie wird die Menschheit ausrotten, die anderen, sie wird die Menschheit retten. Was stimmt? Haidinger: Wir waren in einem Forschungsprojekt, bei dem es darum ging, KI der breiten Bevölkerung zu erklären, sie zu entmystifizieren. KI ist nur ein Werkzeug. Es fragt auch keiner, ob ein Hammer die Welt übernehmen wird. Man muss nur das Wort KI durch das Wort Hammer ersetzen und sieht so, dass es nur ein Werkzeug ist. Es kommt aber drauf an, wie man dieses Werkzeug einsetzt. Oft wird behauptet KI könnte ein Game Changer im Kampf gegen den Klimawandel sein. Wie das? Pichler: Durch Effizienzsteigerungen, etwa ein optimierter Motor für eine Windkraftanlage, oder beim Recycling im Einsatz in Sortieranlagen. Es gibt in allen Säulen der Nachhaltigkeit Anwendungsgebiete. Industrie. FiveSquare löst Probleme der Industrie und der MedTech-Branche mittels KI. Warum KI zwar kein Wundermittel ist, trotzdem gegen die Klimakrise helfen kann, schildern CEO Hans Peter Pichler und CTO Patrick Haidinger. „ES FRAGT KEINER, OB EIN HAMMER DIE WELT ÜBERNEHMEN WIRD“ E e h b a hh „Das Potenzial ist riesig, weil man im medizinischen Bereich sehr bald verstanden hat bzw. aufgrund von gesetzlichen Vorgaben gezwungen war, Daten zu sammeln.“ Hans Peter Pichler CEO FiveSquare „Der AI-Act hat seine Berechtigung und ist eine Chance, dass unsere Systeme zuverlässiger funktionieren und dahinter ein Wertekompass steht.“ Patrick Haidinger CTO FiveSquare Sepp Hochreiter war mit seiner „Long short-term memory“-Technologie Wegbereiter von KIs wie Siri, Alexa, Google Translate und ChatGPT. Er warnt vor einem Exodus heimischer KI-Experten. Die KI-Unternehmer Hans Peter Pichler und Patrick Haidinger sehen KI-Einsatz in Zukunft allgegenwärtig. Von Mythen rund um KI halten sie wenig.

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