Chefinfo Magazin 3-23

3/2023 | CHEFINFO | 57 56 | CHEFINFO | 3/2023 PERSONAL PERSONAL FOTOS: THINKHUBSTUDIO / CHIEWR / ISTOCK / GETTY IMAGES PLUS Am 1.1. jedes Jahres gibt es vom Bundesministerium für Arbeit eine Art „Neujahrsgeschenk“, das gleichzeitig zu in dieser Zeit besonders beliebten Vorsätzen dient: die Liste der Mangelberufe. Sie basiert unter anderem auf den Rückmeldungen des AMS. Sie ist aber keine bloß informelle Liste, sondern eine, die in die Fachkräfteverordnung einfließt. Mittlerweile sind 100 Berufe bundesweit gelistet. Ein kurzes Best-of von A bis Z: Ärzte, Bäcker, Dachdecker, Diplomingenieure in allen Disziplinen, Krankenpfleger, Lohnverrechner, Optiker, Techniker in allen Disziplinen, Tischler, Schlosser oder Zahnprothesenmacher. Dazu kommen noch 58 regionale Mangelberufe. So fehlen in Oberösterreich: Friseure, Politologen, Landschaftsgärtner, Journalisten und sogar Fußpfleger und Tätowierer, wie gesagt nur eine kleine Auswahl. Ein Mangelberuf wird dabei klar definiert. Er ist dann gegeben, wenn „pro Stelle weniger als 1,5 Arbeitssuchende zur Verfügung stehen“. Zusätzlich dazu können Berufe aufgenommen werden, bei denen es einen besonderen Bedarf gibt. 2023 waren das Diplomingenieure im Bauwesen, Elektromechaniker, Buchhalter und diplomiertes Krankenpflegepersonal. Von Ärzten bis Zahn- prothesenmacher Auch die Rückmeldungen der Wirtschaft fließen in das Erstellen der Liste ein: „Durch das Melden offener Stellen tragen unsere Mitgliedsbetriebe aktiv dazu bei, den massiven Bedarf an Fachkräften in Mangelberufen aufzuzeigen“, erzählt WKOÖ-Präsidentin Doris Hummer. Zwar gäbe es, so Hummer, aktuell steigende Lehrlingszahlen (+6,8 Prozent), „dennoch würden die Betriebe gerne mehr Lehrlinge ausbilden. Im Jahresschnitt gab es in Oberösterreich durchschnittlich 1.959 (2021: 1.670) offene Lehrstellen bei durchschnittlich 520 (2021: 591) Lehrstellensuchenden.“ Den größten Lehrstellenüberhang meldet die Metall- und Elektrobranche (461 offene Stellen), der Handel (409 offene Stellen), der Fremdenverkehr (368 offene Stellen) und Büroberufe (163 offene Stellen). „Als Mangelberufe gelten ausschließlich Berufe mit Lehrabschlussniveau.“ Und die Mangelberufsliste erleichtert den Eintritt in den österreichischen Arbeitsmarkt auch für Menschen aus Drittstaaten. „Die im Ausland absolvierte Ausbildung muss mit einer entsprechenden inländischen Ausbildung vergleichbar sein, um bei der Punktevergabe angerechnet zu werden. Eine zielgerichtete Überprüfung der Ausbildung im Herkunftsland verhindert Enttäuschungen bei der Antragseinreichung im Inland. Interessenspolitisch fordert die WKOÖ, „das Ausbildungsniveau nach unten zu senken, um auch Tätigkeitsfelder unter Lehrabschlussniveau abzudecken“. Ohne Arbeitsmigration kein Wohlstand? Christian Klement, Managing Director des Recruitingunternehmens epunkt, sieht die Mangelberufsliste in den letzten Jahren massiv wachsen. „Man finKochers Liste MANGELBERUFE. Jedes Jahr wird eine Liste mit (stiller) Sprengkraft veröffent- licht: die Mangelberufsliste. Jahr für Jahr wächst sie, und je länger sie wird, desto mehr ist unser Wohl- stand gefährdet. Rezepte, diese Liste abzubauen, liegen bereits am Tisch. TEXT: Jürgen Philipp det heute dort Berufe, die vor vier, fünf Jahren noch weit weg waren, einmal ein Mangelberuf zu werden.“ Doch Klement beruhigt: „Jetzt ist es sehr schwierig, Personal zu finden, aber ich bin überzeugt, dass wir in drei Jahren sagen werden: 2026 ist es auch nicht leicht, aber weit nicht so schwierig, wie es 2023 war. Doch nicht nur Mangelberufe, für die es wie erwähnt mindestens einen Lehrabschluss braucht, um als solcher zu gelten, sind rar, auch un- bzw. angelernte Arbeitskräfte. „Zur Deckung dieser Bedarfe kann man auch den Zugang für Asylwerber zum Arbeitsmarkt öffnen bzw. schneller in Verfahrensthemen werden. Wir sind allerdings voll davon überzeugt, dass diese Arbeitsplätze zurückgehen werden.“ An Zuzug von qualifizierten Fachkräften führt für Klement aber kein Weg vorbei. „Wenn wir das nicht machen, bekommen wir Spezialisten nicht.“ Dazu braucht es auch gesellschaftliche Akzeptanz: „Wenn sich eine Fachkraft aus einem Drittstaat nicht willkommen fühlt und auf eine Gesellschaft trifft, die damit Schreckensgespenster malt, wird sie weiterziehen. Wir brauchen diese Menschen aber, um unseren Wohlstand abzusichern.“ Muss Österreich attraktiver werden? Österreich ist für solche Menschen nicht immer erste Wahl, selbst für EUBürger nicht, die dank Personenfreiheit ohne Voraussetzungen in den heimischen Arbeitsmarkt eintreten könnten: „Zuerst gab es die Chance, Menschen aus Griechenland zu holen, als das Land in der Krise war, doch vor dem Brexit waren Großbritannien oder die Schweiz echte Magnete für gut ausgebildete Facharbeiter.“ Klement sehe für Österreich Potenzial: „Wir haben ein schönes Land, das attraktiv ist, um sich etwas aufzubauen, vor allem wenn man aus einer Krisen- oder Kriegsregion kommt, aber wir wissen das aus vielen Studien, dass diese Menschen nicht nach Österreich wollen.“ Zudem sieht er noch einige innerbetriebliche Hürden: „Wenn wir englischsprachige Kandidaten ins Rennen bringen, sind die Firmen zwar bereiter, aber es gibt immer noch Vorbehalte. Da ginge noch einiges.“ Und, so Klement, es wird notwendig sein. „Wir wissen, wie viele Kinder jetzt auf die Welt kommen, die treten frühestens in 15 Jahren in die Arbeitswelt ein. Es dauert also um die 20 Jahre, bis diese Arbeitskräfte verfügbar sind. Wir müssen daher versuchen, mehr Menschen länger in Beschäftigung zu halten, also auch über die Pension hinaus, und wir benötigen Zuzug.“ Digitalisierung kills the Mangelberuf? Doch wie sieht es mit Robotik und KI aus? Können sie helfen, die Mangelberufsliste abzuarbeiten? Doris Hummer: „Auch hinter der Entwicklung und Wartung von künstlicher Intelligenz steht der Mensch. Mensch und Technik können sich optimal ergänzen und im Team erfolgreich sein. Die immer wieder aufkommende Frage, ob der Mensch durch technische Anwendungen ersetzt wird, ist aber zu verneinen.“ Klement sieht darin durchaus einen Ansatz zur Lösung: „Die österreichische produzierende Wirtschaft und das Handwerk sind sehr zukunftsorientiert unterwegs. Gerade das Handwerk hat enormes Potenzial, denken wir an die Energiewende. PV, Wärmepumpen und Co, diesen Wandel werden wir ohne Fachkräfte nicht schaffen. Es waren die Handwerksbetriebe übrigens die Ersten, die eine Viertagewoche eingeführt haben, und auch da hilft die Digitalisierung.“ Für Klement ist gerade die KI eine Revolution am Arbeitsmarkt: „Es ist anzunehmen, dass sich da eine Dimension öffnet, die in den nächsten fünf bis zehn Jahren zeigen wird, was möglich ist. Sie wird Arbeitsprozesse verändern und Ängste auslösen, aber auch neue Chancen und Felder öffnen.“ Klement sieht dabei sein ureigenstes Geschäft, das Recruiting, im Fokus neuer spannender Entwicklungen: „Vor 16 Jahren gab es noch kein iPhone, keine selbst fahrenden Autos, kein Handy, in das die ganze Welt passt. Das technologische Wissen hat sich exponentiell entwickelt, und das war in der Wirtschafshistorie immer so.“ Ob Österreich die Liste abbauen können wird oder nicht, wird eben jene Wirtschaftshistorie zeigen. Ô Kann künstliche Intelligenz die Mangelberufsliste künftig verkürzen?

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