Chefinfo Magazin 3-23

3/2023 | CHEFINFO | 49 48 | CHEFINFO | 3/2023 die damit auch die Demokratiefrage in Unternehmen aufwirft. „Unternehmen sind gefordert, sich zu fragen: Wie ist dieser Arbeitsort, der einen Großteil des Lebens ausmacht? Inwieweit ist er so gestaltet, dass er in eine Demokratiestärkung einzahlt?“, so die Coachin. Kein neuer Ansatz Unternehmen, die Dezentralität und Mitarbeitermitbestimmung stärken, verfolgen keinen neuen Ansatz. Bereits in den 1990er-Jahren gab es mit dem Beyond Budgeting Round Table eine Plattform, die weltweit Unternehmen untersucht hat, die nicht top-down gesteuert waren. Einer der radikalsten und bekanntesten Vertreter ist der brasilianische Unternehmer Ricardo Semler, dessen Buch „Das Semco System – Management ohne Manager – Das neue revolutionäre Führungsmodell“ ein Weltbestseller wurde. Der heute 63-jährige Guru war ein Vertreter des New Work, als es diesen Begriff für die neuen Arbeitsbeziehungen noch gar nicht gab. In seinem Buch zeichnet Semler den Weg seines Maschinenbauunternehmens zur Demokratisierung der Unternehmensprozesse nach. Empowerment der Mitarbeiter und Teams, Job-Rotation und die erwähnten flachen Hierarchien sind nur einige Schlagworte. Semler ist heute immer noch ein gefragter Redner. Einziger Schönheitsfehler: Sein Unternehmen mit der radikal neuen Unternehmenskultur existiert nicht mehr. Die Grenzen im Unternehmen Der belgische Wirtschaftsphilosoph Frédéric Laloux ist Erfinder des „AdviceProzesses“. Das Buch des ehemaligen McKinsey-Partners „Reinventing Organizations“ gilt als Standardwerk für moderne Unternehmensorganisation. Seiner Meinung nach müssen Führungskräfte Kontrolle und Macht abgeben. Ein großer Teil ihrer Kontrolle und Macht sei ohnehin nur fiktiv. „Sie können zwar von da oben viel entscheiden, aber das bewirkt oft am Ende wenig, weil viele Firmen in Bürokratie und Grabenkämpfen weitgehend erstarrt sind“, sagt Laloux. Wer sich das einmal eingesteht, öffnet sich die Tür zu einer neuen, paradoxen Erkenntnis: Manager werden viel wirkungsvoller, wenn sie ihren Mitarbeitern mehr Freiheit geben. Demokratie in Unternehmen hat Grenzen, nämlich dort, wo alles der Mitbestimmung unterworfen ist. Sie kann nur als Element funktionieren, als „Führungsstil, aber nicht als Gesamtsystem“, ist der Düsseldorfer BWL-Professor Andreas Engelen überzeugt. Benedikt Hackl, Professor am Institut für Führung, Agilität und Digitalisierung des Steinbeis-Forschungszentrums, fürchtet, dass das ein Schönwetterthema sei. In schwierigen Zeiten stelle sich für Firmen die Frage: Wie viel Mitsprache lassen wir weiterhin zu? „In der Krise werden wir wieder hierarchischer und undemokratischer, weil es schnelle, klare Entscheidungen braucht, dies ist betriebswirtschaftlich am effizientesten“, sagt Hackl in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Selbst organisierte Pflege Als Modell für demokratische Unternehmensführung gilt das niederländische Nachbarschaftsmodell für Pflege. Die Pflegetätigkeit ist nicht strikt durchgetaktet, die Bürokratie auf ein Minimum reduziert. Gearbeitet wird in kleinen, selbst organisierten Teams, was den Stresslevel der Pflegekräfte auf ein Minimum senkt. Das Buurtzorg-Konzept ist 2007 mit vier Pflegepersonen gestartet, heute sind es 15.000 diplomierte Pflegerinnen und Pfleger, die sich um über 70.000 Menschen kümmern. Das Modell von Jos de Blok hat dem holländischen Gesundheitssystem Kosten von 30 Prozent gespart. Und es wurde auch exportiert – etwa auch nach Österreich. MANAGEMENT FOTOS: JELINA PREETHI, BILDWERK / ISTOCK / GETTY IMAGES Viertagewoche, flache Hierarchien, Mitbestimmung, agiles Arbeiten, Work-Life-Balance: Das sind nur einige Facetten, die unter dem Begriff New Work subsumiert werden. Diese neue Arbeitswelt ist ein globales Phänomen, das auch in Österreich längst angekommen ist. In einer breit angelegten Untersuchung hat die digitale Recruitingplattform Stepstone ermittelt, wie sehr sich Firmen auf Veränderungen in der Arbeitswelt einlassen. Vier Millionen Stellenanzeigen wurden zwischen 2019 und 2022 analysiert. Das Ergebnis des Stepstone-Jobreport 2023 gibt durchaus interessante Einblicke: Verdoppelt haben sich gegenüber 2019 Erwähnungen in kommerziellen Stellenanzeigen von flachen Hierarchien, die insbesondere im Technologiesektor gut ankommen. Laut Stepstone können sich von 2.000 befragten Beschäftigten 16 Prozent ihre Arbeitszeit völlig frei einteilen. New Work basiert vor allem auf dem Gedanken, dass Unternehmen nicht zentral gesteuert werden müssen, um zu funktionieren. „Es geht um die Frage, wie Entscheidungsprozesse gestaltet werden. Wenn die Besten entscheiden sollen, ist es ein anderer Ansatz. Das sind jene Menschen, die den besten Beitrag für die Problemlösung bringen können – und das muss nicht gekoppelt sein an eine formelle Führungskraft“, sagt Organisationsentwicklerin Elisabeth Sechser im Interview (siehe Seite 50), Ohne Führungskräfte geht es nicht in Unternehmen. Aber sie sollen einen Teil ihrer Kontrolle abgeben, weil ihre Macht ohnehin nur fiktiv ist, sagen Managementvordenker. Mehr DEMOKRATIE wagen NEW WORK. Der Traum vom rein demokratischen Unternehmen als Gesamtsystem wird sich nicht realisieren lassen. Aber trotzdem sollten Organisationen ihr Entscheidungssystem überdenken und in die „Demokratiestärkung“ einzahlen. TEXT: Klaus Schobesberger 30 Prozent weniger Kosten als üblich hat das Pflegemodell Buurtzorg. Ô

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