Chefinfo Magazin 1-23

68 | CHEFINFO | 1/2023 1/2023 | CHEFINFO | 69 FOTOS: JÜRGEN EISSERER BILDUNG Bildung hat also fast immer mit Kommunikation zu tun? Eisserer: Ja, natürlich. 98,6 Prozent unserer Gene sind gleich mit denen eines Schimpansen. Der einzige Unterschied ist, dass der Schimpanse mehr Haare hat als wir und wir über eine komplexe Sprache verfügen. Wir können miteinander reden und Dinge ausdiskutieren. Wie spricht man also mit Mitarbeitern richtig? Es muss für Mitarbeiter und Führungskraft die Bereitschaft da sein, sich dumm zu zeigen. Nicht dumm im Sinne von blöde, sondern dumm im Sinne von lebenslangem Lernen. Ich muss der Neugierde Raum lassen. Weiß ich wirklich alles über meinen Mitarbeiter? Nein, weiß ich als Führungskraft natürlich nicht. Mit dieser Einstellung gehe ich aus einem Gespräch immer stärker heraus, als ich hineingegangen bin. Welche Bildungstrends gibt es bzw. welche Skills werden künftig mehr gefragt sein? Eisserer: Die zwei größten Trends sind die Digitalisierung und die gesellschaftliche Verantwortung. Damit verbunden sind Schlagwörter wie Nachhaltigkeit, Umwelt und Gesellschaft, Resilienz, Kommunikation, Persönlichkeitsentwicklung oder Führung. Je digitaler die Welt wird, desto wichtiger sind die sozialen Fähigkeiten. Diese beiden Trends bedingen einander. Ich bin ein Freund von Utopien, wer groß denkt, kann groß werden. In welchen Bildungsbereichen investieren Unternehmen derzeit am meisten? Eisserer: Sie investieren in lebenslanges Lernen. Bei den Inhalten ist es meines Erachtens das Thema Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit gegenüber Einflüssen von außen, auch als BurnoutPrävention. Generell geht viel in Richtung Persönlichkeitsentwicklung. Sehr stark ist auch das Thema Kommunikation. Es wird vermehrt bewusst auf Sprache geachtet, auf Führungsrhetorik, etwa wie man Menschen für sich gewinnen und mitnehmen kann. Auch das sind Ausprägungen des Megatrends der gesellschaftlichen Verantwortung. hängen. Aber es braucht in puncto Bildung lange, bis das Schiff wendet. Die junge Generation ist reifer im Kopf, überlegter, wertebasierter, weil sie nicht so weitertun kann wie die Generationen davor. Sie sind bewusster geworden. Gesellschaftliche Verantwortung ist einer der Megatrends. Früher war es eine Plattitüde, jetzt ist es ernst gemeint. Diese neue Generation lässt sich von Schneeballworten nicht beeindrucken. Sie wollen aus der Praxis lernen. Es reicht nicht mehr, junge Mitarbeiter in Seminare zu setzen. Sie wollen aus dem Alltag der Mitarbeiter X und Y lernen, um so zu einer Lösung zu kommen. Und die neue Generation teilt gerne ihr Wissen. Firmen investieren viel in Weiterbildung, aber an 25 Prozent der Teilnehmer schießt ein Seminar, ein Workshop vorbei. Für sie ist der Inhalt nicht relevant, haben ihn schon einmal gehört oder sie sind einfach bildungsresistent. Darum ist es wichtig, denen Bildung zukommen zu lassen, die wirklich etwas bewegen wollen. Und darum muss es eine Hinentwicklung zur „lernenden Organisation“ geben. Wissen ist nichts mehr, worauf man stolz sein kann. Wissen ist nichts Exklusives mehr. Wissen gibt es überall: Bei Google, YouTube und Co. Aus Unternehmen hört man oft: „Meine Leute sind ausqualifiziert.“ Gibt es das überhaupt? Eisserer: Das Schwierigste ist nach wie vor, das Potenzial der Mitarbeiter zu erkennen. Weiterbildung funktioniert nicht mit Druck oder gar Zwangsverpflichtung. Jeder Mensch fragt sich: Was habe ich davon? Wenn das Unternehmen etwas anbietet, muss es unmittelbaren Nutzen haben und im besten Fall ein Problem meines Alltags lösen können. Wenn ich nicht weiß, wo ich mich tiefer weiterbilden will, gilt es herauszufinden, was mir gefällt und vor allem: Was fällt mir leicht? Das hängt stark an der Führungskraft. Wie wachsam ist sie? Wie sehr achtet sie darauf, ob der Mitarbeiter seinen Talenten entsprechend eingesetzt ist? Dazu kommt laut einer Studie von Boston Consulting, dass eine der wichtigsten Zutaten für erfolgreiche Teams Diversität ist und dass Mitarbeiter nach ihren Vorlieben eingesetzt werden. Rund 90 Prozent der Wissenschaftler, die je auf diesem Erdball lebten, leben heute noch immer. Menschen, die glauben, sie haben einen Wissensvorsprung täuschen sich also gewaltig. Es gibt ein exponentielles Wachstum anWissen, egal in welchem Bereich. Wir sind Wissensgiganten, aber Umsetzungszwerge. Es hat großes Potenzial zu sagen: „Wunderbar, was du alles weißt. Jetzt schauen wir mal, ob du es kannst.“ Es gibt aber immer wieder die Fälle, dass ein Mitarbeiter im Betrieb eher wenig Verantwortung hat, privat aber der Feuerwehrkommandant in seinem Ort ist, also offensichtlich auch führen kann. Eisserer: Talente, die sie im Privaten ausleben, sollen sie auch ins Unternehmen mitnehmen. Diese Spur zu ziehen ist das größte Potenzial, das Unternehmen haben. Geht einer privat gerne Bergsteigen, stecken dahinter viele Skills. Er weiß, wie er seine Schritte setzen muss, ist achtsam, hat Ausdauer, Konsequenz, Übersicht und ein Maß von Planbarkeit. Wenn die Führungskraft das weiß, kann sie daraus ein Kompetenzfeld bauen. Wenn es Unternehmen gelingt, über den beruflichen Horizont hinauszublicken, dann kann ich als Führungskraft auch Verbindung schaffen. Ist jemand privat Feuerwehrkommandant, dann kann ich ihn auch in einer Notsituation zum Kunden schicken, um dort das „Feuer zu löschen“, wenn es Probleme gibt. BILDUNG Eisserer: „Je digitaler die Welt wird, desto wichtiger sind die sozialen Fähigkeiten. Diese beiden Trends bedingen einander.“ Wissen ist nichts mehr, worauf man stolz sein kann. Wissen ist nichts Exklusives mehr. Wissen gibt es überall: Bei Google, YouTube und Co. Jürgen Eisserer Trainer BUCHTIPP JÜRGEN EISSERER Scheiß auf Plan B Die Kunst den eigenen Weg zu gehen Buchschmiede 22,60 Euro Für Rhetoriktrainer Jürgen Eisserer hat Bildung in erster Linie etwas mit Kommunikation zu tun. Unternehmen und Führungskräfte sind hier gefordert. n Rund 90 % der Wissenschaftler, die je auf diesem Erdball lebten, leben heute noch immer. Jürgen Eisserer Trainer

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