Chefinfo Magazin 1-23

FOTOS: JÜRGEN EISSERER 1/2023 | CHEFINFO | 67 BILDUNG INTERVIEW. Jürgen Eisserer hat seine Berufung gefunden. Der vielfach ausgezeichnete Rhetoriktrainer (u. a. Trainer des Jahres) im Interview über Trends in der Erwachsenenbildung, Learning on the Job, das Ende des „Bulimielernens“, die „lernende Organisation“ und warum eine extrem wissbegierige Generation anders lernt als bisher. INTERVIEW: Jürgen Philipp CHEFINFO: Sie wurden vom Lehrling zum Trainer des Jahres. Sehen Sie sich selbst als ein Beispiel für gelungene Erwachsenenbildung? Jürgen Eisserer: Ich habe mich nie bewusst gebildet, sondern hatte eher das Glück, die richtige Nase zu haben. Ich habe dann relativ schnell und aus einem inneren Antrieb heraus ein Marketingdiplom und 16 Rhetorikdiplome erhalten, weil ich unglaublich neugierig bin. Wenn Menschen ihre grundlegende Neugier entdecken, entdecken sie auch neues Wissen. Ich hatte das Glück, dass ich sehr viele unterschiedliche Ausbildungen absolviert habe. Allerdings hat mich das in den letzten Jahren auch viele Jobs gekostet. Die Türen stehen für jeden Menschen offen. Ich kann auf Knopfdruck neue Freunde haben, neue Jobs, neue Dates. Da stehen so viele Türen offen, dass manche im großen Flur mit einem Fragezeichen auf der Stirn stehen. Sind diese vielen Türen nicht ein Hindernis, um sein wirkliches Potenzial, seine Berufung zu finden? Eisserer: Steven Jobs meinte einmal: „Connecting by dots“, also alle relevanten Punkte finden, zusammenfügen und so ein großes Bild bekommen. Dazu muss man vieles probieren. Wir sollten daher Jugendlichen die Möglichkeiten geben, Unterschiedliches auszutesten, ohne schnell als Jobhopper abgestempelt zu sein. Es gibt dazu schon viele Programme in Unternehmen, wo ich als Einkäufer der Firma A in den Verkauf der Firma B wechsle, um die andere Seite des Tisches kennenzulernen. Es gilt, eine gewisse Neugier zu stillen. Wie war das bei Ihnen? Wann haben Sie Ihre Bestimmungen gefunden und wie? Eisserer: Das war nicht so, dass ich sofort gewusst habe, was ich will. Es war eine lange Reise. So mit 19 Jahren begann ich, erste Veranstaltungen zu organisieren, und wenn jemand ausfiel, musste ich moderieren. Schon früher haben wir als Kids kleine Filmchen gedreht und ich war dabei immer der Nachrichtensprecher. Später war ich Marketingmanager bei JOSKO und genoss viele Inhouse-Trainings über Auftreten, Verkauf, Marketing und Vertrieb. Ich hatte damals Förderer, Mentoren, die meinten: „Mach mehr daraus“. Es war ein Herantasten an das, was ich gut kann. Die Förderer braucht es, damit wir unsere Talente entdecken und austesten. Diese Mentoren blicken mit einem Adlerblick auf das Unternehmen und erkennen Talente. Learning on the Job ist derzeit das gebräuchlichste Mittel gegen den Fachkräftemangel. Was gilt es dabei zu beachten? Eisserer: Learning on the Job ist aus der Not geboren, aber wie immer im Leben, man lernt am meisten in der höchsten Not und der höchsten Emotion. Learning on the Job befreit bis zu einem gewissen Grad von zu engen Voraussetzungen. Werte und Einstellungen werden wichtiger als bloße Qualifikationen. Man schaut daher wieder mehr auf denMenschen, weniger auf die formalen Skills. In den USA gibt es den Spruch: „Hired by ability, fired by personality“ – also gefeuert, weil er mit seinemWerteset nicht zu der Einstellung des Unternehmens passt. Jedes Unternehmen hat in erster Linie einen gesellschaftlichen Auftrag, den es finden muss. Meistens ist es im Mission Statement verpackt. Ich muss wissen, nach welchen Werten ich arbeite und nach welchen Regeln gespielt wird, dann kann sich jeder drin wiederfinden. Doch oft finden sich darin nur sogenannte Schneeballworte: Alle sind kreativ, innovativ, nachhaltig. Das mag nett klingen, aber ein Mission Statement muss verformbar sein. Wenn ich in einem Unternehmen arbeite, möchte ich diese Werte spüren. Wie redet man miteinander, wie denkt das Unternehmen, kann ich auch sagen, was mir nicht gefällt, sprich: Gibt es eine transparente Kommunikation? Ein Dauerthema ist der oft zitierte GenerationenGap. Wie sollten sich Unternehmen darauf vorbereiten bzw. daran anpassen? Eisserer: Ich bin kein Freund von Generationenbashings. Es gibt unglaublich viele Beispiele von jungen Mitarbeitern, die reifer denken als manche 60-Jährige. Sie wollen sich weiterbilden. Das Einzige, wo sich Unternehmen hinentwickeln müssen, ist, dass sie eine Plattform schaffen, wo man miteinander reden und miteinander wachsen kann. Dann finden auch die passenden Menschen zueinander. Es kommt eine Generation auf uns zu, die extrem hungrig nach Bildung ist. Sie merken, dass in der Vergangenheit etwas gefehlt hat. Beim alten „Bulimielernen“, also Wissen reinstopfen und rauskotzen, bleibt wenig „Wir sind Wissensgiganten, aber Umsetzungszwerge“ BILDUNG 66 | CHEFINFO | 1/2023 98,6 % unserer Gene sind gleich mit denen eines Schimpansen. Der einzige Unterschied ist, dass (…) wir über eine komplexe Sprache verfügen. Jürgen Eisserer Trainer W Für Jürgen Eisserer steht fest: Der Trend geht in Richtung „lernende Organisation“. Ô Jürgen Eisserer Trainer Da stehen so viele Türen offen, dass manche im großen Flur mit einem Fragezeichen auf der Stirn stehen.

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