Startup Chefinfo Magazin 03-22

CHEFINFO SPEZIAL | 55 STARTUP 54 | CHEFINFO SPEZIAL FOTOS: AURORA DIGITALISIERUNG IST SCHON LANGE IN DER SEXARBEIT ANGEKOMMEN Eine Plattform, die es so nicht gab, wel- che aber die Zielgruppe perfekt erreicht. „Es fiel uns auf, dass es nur sehr wenig Online-Sozialarbeit für Sexarbeitende gibt. Dabei spielt der Trend zur Digita- lisierung im Bereich der Sexarbeit eine große Rolle.“ Viele nehmen über das Internet Kontakt zu potenziellen Freiern auf und bewerben dort ihre Dienstleis- tungen.“ Durch Corona stieg der Trend zur Online-Sexarbeit noch weiter. Krö- mer und Weber gingen wie klassische Startups an die Arbeit: Sie analysierten Zielgruppen und den „Mitbewerb“, den es überraschenderweise so gut wie nicht gab. „Spezielle und niederschwellige Auf- klärungsmöglichkeiten für eine sichere und unabhängige Arbeit der Sexarbei- tenden fehlen.“ Die digital affinen Sex- arbeitenden haben damit 24/7 Zugriff auf die Inhalte der Plattform. „So können Wartezeiten im Bordell genutzt werden, um sich zu unterschiedlichen Themen zu informieren.“ Und das in unterschied- lichen Sprachen. „Unsere Webplattform erreicht auch Sexarbeitende, die durch herkömmliche Sozialarbeit nur schwer zugänglich sind, wie jene, die im Escort oder als Camgirls arbeiten.“ SCHWELLENANGST ABBAUEN, SELBSTBEWUSSTSEIN STÄRKEN Die Anonymität des Internets baut Schwellenangst für Beratung ab. „Sex- arbeit ist oft mit Stigma und Scham verbunden.“ Die Plattform deckt dabei einen breiten Fächer an Themen ab wie Sicherheit, Gesundheit, Informationen zu Rechten und den Umgang mit Risi- ken und Herausforderungen im Bereich der Sexarbeit. „Damit möchten wir Sex- arbeitende empowern, selbstbewusst aufzutreten, auf ihre Sicherheit zu ach- ten und für ihre Rechte einzustehen.“ Bei der Umsetzung spielte dann noch der Zufall eine Rolle: „Als uns überraschend eine Projektmanagerin für Webplatt- formen und Apps kontaktierte und uns ihre Unterstützung anbot, war die Sache klar. Wir entschieden uns, unsere Idee Realität werden zu lassen.“ KAUM FÖRDERUNGEN FÜR SOCIAL STARTUPS ImGegensatz zu technologieorientierten Startups gibt es bei Social Startups kei- ne üppige Förderungslandschaft. „Social Startups haben in der ersten Zeit noch keine bis wenige Chancen auf öffent- liche Förderung.“ Dennoch wagten die beiden Frauen den Schritt in die Selbst- ständigkeit, auch wenn sie sich immer wieder Fragen wie: „Warum bewerbt ihr euch nicht einfach bei einer bestehenden Beratungsstelle? Und wie wollt ihr das finanzieren?“, stellen mussten. Die gro- ßen Player in der Soziallandschaft domi- nieren, Social Startups führen daher (noch) ein Nischendasein. „Wir wollten das bestehende Angebot erweitern und nicht nur Bestehendes erhalten.“ Inno- vative Wege beschreiten, Spaß am neu- en Denken und innovative Lösungen zu suchen – sprich, ein Startup-Dasein par excellence zu führen – steht bei Aurora im Zentrum. „Wir haben Lücken im Angebot gesehen und beschlossen, diese selbst zu schließen.“ ÜBERWÄLTIGENDE EHREN- AMTLICHE UNTERSTÜTZUNG Und weil Förderungen fehlen, setzt Aurora auf viele Freiwillige. „Ein großer Meilenstein war das Finden von einer unglaublichen UX-Designerin, die unser Produkt ehrenamtlich designt hat und uns begleitet.“ Weitere Ehrenamtliche standen mit Know-how, Zeit und Ener- gie zur Seite. Und selbst aus der Startup- Szene kam Unterstützung: Die Gründer von Storyblok stellten dem Verein ihre Entwicklungsplattform zur Verfügung. Und die beiden Gründerinnen haben bereits weitere Ideen im Köcher, um die Lebensqualität von Sexarbeitenden zu verbessern. „Wir freuen uns schon auf unser nächstes Projekt: ein Wohnpro- jekt für Frauen, die ihre Tätigkeit in der Sexarbeit beenden möchten oder eine Auszeit, etwa aufgrund einer Schwan- gerschaft, brauchen. Obwohl wir die- ses Projekt noch nicht aktiv beworben haben, erreichen uns schon erste Anfra- gen. Zu sehen, dass der Bedarf tatsäch- lich groß ist, spornt uns an.“ n Aurora. Social Startups sind in Österreich noch relativ selten. Das Beispiel des Vereins Aurora zeigt, wie man Themen wie Sexarbeit und die damit verbundenen Probleme neu denken kann. ES FIEL UNS AUF, DASS ES NUR SEHR WENIG ONLINE- SOZIALARBEIT FÜR SEXARBEITENDE GIBT. DABEI SPIELT DER TREND ZUR DIGITALISIERUNG IM BEREICH DER SEXARBEIT EINE GROSSE ROLLE. Esther Krömer Co-Gründerin Aurora Text: Jürgen Philipp LET´S TALK ABOUT SEX(ARBEIT) Z wei Tassen Kaffee, ein tris- ter Oktobertag 2019 und zwei Sozialarbeiterinnen. So beginnt die Story des Vereins Aurora, der sich der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbei- terinnen widmet. Esther Krömer und Anna Weber beschäftigten sich unab- hängig voneinander mit den Themen Sexarbeit, Menschenhandel und sexu- elle Ausbeutung. Ein Kaffee brachte sie zusammen und den Entschluss, etwas bewegen zu wollen. „In Österreich arbei- ten zwischen 6.000 und 7.000 Personen in der Prostitution. Der Anteil an Perso- nen mit Migrationshintergrund in die- sem Arbeitsfeld liegt bei 95 Prozent. Sie arbeiten oft unter prekären Verhält- nissen, erleben Diskriminierung, Stig- matisierung oder Ausbeutung“, erzählt Krömer. Was mit einem Kaffee begann, mündete im April 2020 in der Gründung des Vereins Aurora. „Unser erstes Pro- jekt ist eine österreichweite Webplatt- form für Sexarbeitende. Sie vermittelt in mehreren Sprachen sehr niederschwellig wichtige Informationen zu Fragen wie: Was sind meine Rechte? Wie komme ich zu einer Versicherung und wie kann ich mich vor Gewalt schützen?“ Die Sozialarbeiterinnen Esther Krömer und Anna Weber fanden mit ihrer App einen unterschwelligen Weg, Sexarbeiterinnen zu informieren und vor Gewalt zu schützen. In Österreich leben rund 7.000 Personen von Sexarbeit, oft unter prekären Verhältnissen. Das Social Startup Aurora nutzt die digitale Affinität für seine Hilfsangebote.

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