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9/2022 | CHEFINFO | 63 62 | CHEFINFO | 9/2022 FOTO: DOMINIK ANGERER / EXPA / PICTUREDESK.COM MANAGEMENT MANAGEMENT FOTOS: RACE-PRESS.COM / DPA / PICTUREDESK.COM Vom ehemaligen Zahnpastavertreter zum zwanzigfachen Milliardär: Die Story von Dietrich Mateschitz (1944–2022) ist selbst für amerikanische Verhältnisse so außergewöhnlich, dass ihm das Wall Street Journal einen mehrspaltigen Nachruf widmete. Red Bull zur weltweit zweitbeliebtesten Softdrinkmarke nach CocaCola zu machen ist vor allem eine unternehmerische Leistung. Statt mit dem Getränkeriesen aus Atlanta auf seinem Feld zu konkurrieren, hat Mateschitz eine Geschäftsidee angewendet, die zwar bewährt, aber extrem schwer umzusetzen ist: Er schuf mit dem Energydrink eine neue globale Produktkategorie. Red Bull ist die erste echte Innovation am Erfrischungsgetränke-Markt, seit der Apotheker John Pemberton 1886 durch Zufall die Rezeptur für Coca-Cola entDietrich „Didi“ Mateschitz (1944– 2022) erkannte das enorme Potenzial von Energydrinks und schaffte mit Red Bull die erste echte Innovation seit Coca-Cola. Der Flügelschlag des Bullen ENTREPRENEURSHIP. Warum die Ursprungsidee von Red Bull in Konzernzentralen niemals den Funken einer Chance gehabt hätte. TEXT: Klaus Schobesberger deckte. Bis heute schafft es die Coca-Cola Company nicht, Red Bull in seiner Kategorie zu schlagen. Und es kommt noch dicker: Der Newcomer mit Sitz in Fuschl am See weitet aufgrund der steigenden globalen Nachfrage die Produktion auf seinem größten Absatzmarkt in den USA aus. Gemeinsam mit seinem Abfüllpartner Rauch entsteht 2027 im Bundesstaat North-Carolina um 650 Millionen Euro ein „Produktions-Campus“. Mythologische Narrative Dabei begann alles sehr bescheiden in den 1980er-Jahren. Die Red-Bull-Story hat alle jene Zutaten, die der Ökonom und Nobelpreisträger Robert Shiller in seinem Buch „Narrative Wirtschaft. Wie Geschichten die Wirtschaft beeinflussen“ (Narrative Economics: How Stories Go Viral and Drive Major Economic Events) als Erfolgstreiber beschrieben hat: „Ein ökonomisches Narrativ ist eine ansteckende Story, die das Potenzial hat, den Prozess wirtschaftlicher Entscheidungen von Menschen zu verändern, wie die Entscheidung, einen weiteren Arbeiter einzustellen oder auf bessere Zeiten zu warten, etwas zu riskieren oder im Geschäft vorsichtig zu sein, ein Unternehmen zu gründen oder in eine hochspekulative Anleihe zu investieren.“ Das ist bei Red Bull zweifellos der Fall. Mateschitz war verschlossen wie eine Auster, inspirierte mit seinem unternehmerischen Tun aber unzählige Menschen. Und die Marke Red Bull war selbst so inspirierend, dass Hunderte, wenn nicht Tausende Me-TooProdukte folgten. Auch die Entstehungsgeschichte ist ein Teil der Erfolgsstory – und man weiß bei manchen Passagen nicht, ob sie wahr oder Teil des Marketings sind. Etwa, dass dem Red-BullGründer bei einer Geschäftsreise an der Bar des Mandarin-Oriental-Hotels in Hongkong beim Lesen der Presse eine Liste der größten Steuerzahler Japans ins Auge gestochen ist. Die Nummer eins waren nicht die bekannten Fahrzeug- oder Elektronikmarken, sondern Taisho Pharmaceutical, die unter anderem einen Energydrink produzierte. Die hohen Gewinnspannen ließen Mateschitz aufhorchen. Er kam in Kontakt mit der thailändischen Industriellenfamilie Yoovidhya, die das Erfrischungsgetränk „Krating Daeng“ („Roter Stier“) vertrieb. 1984 wurden die beiden Partner und gründeten die bis heute existierende Red Bull GmbH. Bürokratisches Konzerndenken vermeiden Im Firmenbuch macht man die erstaunliche Entdeckung, dass die Red Bull GmbH 129 Tochterunternehmen und Beteiligungen hat. Konzernstrukturen wurden tunlichst vermieden, wohl auch deshalb, weil Red Bull selbst nicht produziert, sondern ein reines Marketingunternehmen ist. Mateschitz bevorzugte Hemdsärmeligkeit, bevorzugte kurze Entscheidungswege, hasste Krawatten und war nur mit Dreitagebart zu sehen. Der britische Werbefachmann Rory Sutherland meint seinem Buch „Alchemy –The Surprising Power of Ideas That Don’t Make Sense“ (etwa: „Alchemie – Die überraschende Kraft von Ideen, die nicht vernünftig erscheinen“), dass die Ursprungsidee in Vorstandsetagen von Konzernen keine Chance auf Verwirklichung gehabt hätte. Ein Konzept, das mit einer kleineren Dose zu einem höheren Preis und mit einem Inhalt, der bei den ersten Vertestungen als „grauslich“ durchgefallen ist, gegen Coca-Cola antreten sollte, wäre im Shredder gelandet. Der Finanzchef und die Leute von der Bank hätten die enorm hohen Marketingausgaben als absurd abgetan. Man wolle schließlich berechenbare Gewinne haben, logisch argumentieren und auf Effizienz getrimmt bleiben. Für Sutherland versperrt so ein Denken, dass 9,8 Milliarden Dosen verkaufte Red Bull im Vorjahr. Das ist ein Zuwachs von 24 Prozent. Ô Die Red Bull GmbH ist ein reines Marketingunternehmen. Mit Sponsoring in Extremsportarten und in der Formel 1 schafft es weltweite Präsenz.

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