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9/2022 | CHEFINFO | 17 16 | CHEFINFO | 9/2022 COVERSTORY Es ist eine Ironie des Schicksals. Der CEO und Gründer von ByteDance, der Inhaberkonzern von TikTok, Zhang Yiming, arbeitete unter anderem für Microsoft. Und er verließ Microsoft, weil er sich von den Unternehmensregeln des USKonzerns zu eingeengt fühlte. Vor zehn Jahren gründete er ByteDance und hat neben klassischen Positionen CEO, CTO, CFO auch einen Vizepräsidenten und Stellvertreter namens Zhang Fuping imUnternehmen. Der ist aber keine herkömmliche Führungskraft, sondern Parteikomitee-Sekretär der chinesischen KP. Großen chinesischen Unternehmen wird eine solche „Kraft“ beiseitegestellt, die darauf schaut, dass auch die strategische Partnerschaft mit demMinisterium für Öffentliche Sicherheit gewährleistet wird. Wie eng die Unternehmensregeln da wohl sind? Weit genug jedenfalls, um die erfolgreichste App der Welt ihren Siegeszug rund um den Globus antreten zu lassen. Eingebaute Menschenkenntnis Ein Siegeszug, der mit einer von Louis Yang und Alex Zhu 2014 entwickelten App namens musical.ly begann, die ByteDance übernahm. Eine App, die Selfies mit Musikvideos verband. Die Lippen werden synchron zur Musik bewegt. Nichts Aufregendes, aber Yang und Zhu hatten ein Ass im Ärmel. Sie hatten ein Büro und damit einen Sitz in den USA. ByteDance hingegen war zu dieser Zeit auf den chinesischen Markt fokussiert. Aus dem News-Aggregator ByteDance – das Unternehmen war und ist auf starke lernfähige Algorithmen fokussiert und beliefert chinesische Abonnenten mit für ihre Interessen speziell zusammengestellten News – und der Spaß-App musical.ly wurde TikTok. Und damit ist bereits der gigantische Vorteil von TikTok erzählt. Kein anderes soziales Netzwerk lernt seinen User schneller kennen. Bereits nach wenigen Minuten kennt der Algorithmus das individuelle Nutzerverhalten und spült den Usern relevante Inhalte in Form von Videos auf ihr Handy. Kurzvideos mit dem „Wenn i nur aufhören könnt’“-Effekt. Tatsächlich verglich das Forbes Magazine TikTok mit der Droge Crack. Schlagartig ließen die Chinesen Facebook oder Instagram alt aussehen. Mit drei Milliarden Downloads ist die App die erfolgreichste der Welt, 1,6 Milliarden Menschen nutzen sie aktiv, so viel wie keine andere. In den USA nutzen zwei Drittel aller Teenies die chinesische Videoplattform, und zwar auch als Suchmaschine. Für 40 Prozent aller Jugendlichen ist TikTok das neue Google. Chinesische Kulturrevolution 2.0. Der Wert von TikTok wird mit über 300 Milliarden Dollar beziffert – im Vergleich: Die Einnahmen des österreichischen Staates 2021 betrugen rund 200 Milliarden Euro. Und das nicht nur wegen hoher Userzahlen allein, sondern vor allem wegen einem: TikTok ist mittlerweile der Motor der globalen Pop- und Jugendkultur. Eine Art chinesische Kulturrevolution 2.0. Eine Revolution, deren Auswirkungen man schon spürt. So führt unter anderem der US-Streamingdienst Netflix seinen Abonnentenschwund nicht zuletzt auf TikTok zurück. „TikTok ist unheimlich business-­ driven“, erzählt Adil Sbai, Gründer von WeCreate, der ersten TikTok-Agentur im deutschsprachigen Raum (siehe Interview). Mit anderen Worten: TikTok greift disruptiv durch und ist sehr nahe am User bzw. am Content-Creator. TikTok versteht wie kaum eine andere App seine Nutzer. So greift es nun frontal den Musikstreamingmarkt an: Spotify und Co sind gewarnt und versuchen, ihrerseits in den sozialen Netzwerken zu punkten. Die chinesische App könnte also eine ganz neue Form von Musikproduktion populär machen, schneller, bunter, jünger. Und TikTok entlohnt seine FOTOS: DIMITRIS66 / DIGITALVISION VECTORS, GRINVALDS / PHEELINGS MEDIA / ISTOCK / GETTY IMAGES PLUS 300 Milliarden US-Dollar ist TikTok wert. Österreichs Staatseinnahmen 2021 betrugen 200 Milliarden. Ô COVERSTORY

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