Chefinfo Magazin 7-22

50 | CHEFINFO | 7/2022 FOTOS: JKU, WX-BRADWANG / ISTOCK / GETTY IMAGES PLUS FINANZEN ZUR PERSON Georg Hans Neuweg, Jahrgang 1965, ist seit 2019 Vorstand des Instituts für Wirtschafts- und Berufspädagogik an der Johannes Kepler Universität Linz. Der Autor zahlreicher pädagogischer Fachbücher ist langjähriger Berater für das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, hat Lehrerfahrungen an mehreren Universitäten, in der Lehrerfortbildung sowie an einer Schule und ist weiters Achtsamkeits- und Meditationslehrer. oder Fünften nur eingeschränkt behaupten kann, ist für eine Wohlstandsnation wie unsere eine Schande. Zweitens braucht es einen Wirtschaftsunterricht durch speziell dafür ausgebildete Lehrkräfte – und zwar nicht nur in denWirtschaftsschulen, sondern auch und besonders im allgemeinbildenden Schulwesen. Und drittens müssen wir die Schulkultur so weiterentwickeln, dass junge Leute dort nicht auf ein träges, sondern auf ein dynamisches System treffen, das ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugung stärkt und ihr Vertrauen darin stärkt, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen können. Welche Inhalte, Fertigkeiten sollten vermittelt werden? Was sollten Jugendliche unbedingt wissen und können? Neuweg: Mit Finanzbildung und Konsumentenerziehung allein ist es nicht getan. Wir brauchen dringend drei weitere Säulen. Die erste ist die Berufsorientierung. Junge Menschen müssen sich und ihre Interessen finden und in Kenntnis der Vielfalt der Berufe und Ausbildungsmöglichkeiten einen Ausbildungs-, Lebens- und Berufsweg finden, der ihrem persönlichen Fähigkeits- und Interessenpotenzial bestmöglich gerecht wird. Derzeit sitzen viel zu viele in der für sie falschen Schule, weil die Bildungs- und Berufsberatung nicht gut genug funktioniert. Es ist auch recht merkwürdig, dass Jugendlichen bei etwa 200 Lehrberufen in Österreich immer nur der Friseur, der Kfz-Mechaniker und der Tischler einfallen. Die zweite Säule ist die Entrepreneurship Education. Mehr Gründungsneigung und -eignung, mehr Mut zum kontrollierten Risiko und mehr Innovationsgeist schaden unserem Land nicht, und auch hier hat das Bildungssystem seine Aufgaben. Und die dritte Säule ist etwas, das man nach wie vor am besten mit dem Begriff der wirtschaftsbürgerlichen Erziehung bezeichnen kann. Was verbirgt sich genau hinter dem Begriff der wirtschaftsbürgerlichen Erziehung? Neuweg: Ökonomische Allgemeinbildung muss nicht nur sicherstellen, dass Menschen in ihrer Rolle als Steuerzahler und als Wähler die wichtigsten wirtschaftspolitischen Ziele, Kon- ‚Bildung to go‘ gibt es nicht. Uns kommt allmählich das Bewusstsein dafür abhanden, dass Lernen auch etwas mit Anstrengung und Durchhaltevermögen zu tun hat. Georg Hans Neuweg Bildungsforscher Ökonomische Allgemeinbildung muss sicherstellen, dass Menschen verstehen, was Märkte sind und wo ihre Funktionsdefizite liegen. zepte und Maßnahmen verstehen und sich über wirtschaftspolitische Programme und Vorschläge ein selbstständiges und sachliches Urteil bilden können. Sie muss mehr denn je auch sicherstellen, dass Menschen verstehen, was Märkte sind und wo ihre Funktionsdefizite liegen. Die Klimakrise wirft die Frage auf, wie menschliche Innovationskraft und die Anreize von Markt und Wettbewerb uns helfen können, nachhaltigere Technologien, Energieversorgungssysteme, Produkte und Dienstleistungen zu erfinden. Fragen der gerechten Verteilung des Wohlstands, besonders im weltumspannenden Rahmen, spitzen sich zu. In den reichen Industrienationen suchen zunehmend mehr Menschen ihren Lebenssinn abseits von Arbeit, Beruf undWirtschaft. Kritik an der Marktwirtschaft kommt einerseits in saturierten Gesellschaften zusehends in der Mitte der Gesellschaft an, während andererseits aufstrebende Wirtschaftsräume die Entwicklung ihrer Märkte und ihrer internationalen Wettbewerbskraft mit hohem Tempo vorantreiben. Das alles stellt uns vor die Frage: Wie wollen wir leben und wirtschaften – und um das zu beantworten, müssen FINANZEN möglichst viele wirtschaftlich gut gebildete Menschen am politischen Diskurs partizipieren. Früher gab‘s Monopoly, heute bieten Startups für Heranwachsende zahlreiche Angebote im Bereich Finanzbildung an. Sie reichen von Taschengeld-Apps, Wissensquiz bis hin zu Investmentspielen. Wie sinnvoll ist der Einsatz digitaler Dienstleistungen? Neuweg: Nice to have, aber überschätzt – und gefährlich, wenn man glaubt, das genügt. „Bildung to go“ gibt es nämlich nicht. Man kann nicht alles nebenbei und spielerisch lernen und das wirklich Wichtige schon gar nicht. Uns kommt allmählich das Bewusstsein dafür abhanden, dass Lernen auch etwas mit Anstrengung und Durchhaltevermögen zu tun hat. ■

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