Chefinfo Magazin 03-22

PERSONAL PERSONAL 3/2022 | CHEFINFO | 61 60 | CHEFINFO | 3/2022 FOTOS: KERN ENGINEERING CAREERS, SPS-MARKETING FOTO: SPRECHER AUTOMATION S chon mal den Begriff Hid- den Champions gehört? Kaum ein anderes Land der Welt hat mehr davon als Österreich. Hidden Champions sind Firmen, die in der Öffentlichkeit nicht bekannt sind, aber dank ihrer Innovationskraft in ihrer Branche den Takt angeben. Sprecher Automation zählt zu dieser Kategorie. Das Linzer Unternehmen produziert Anlagen und Systeme für die Digitali- sierung von Stromnetzen und Indus- trieanlagen und macht diese damit effizienter und sicherer. Weil Schwan- kungen in Stromnetzen durch den stei- genden Anteil an Sonnen- und Wind- strom immer höher werden, ist eine digitalisierte Netzsteuerung unverzicht- bar, um die Versorgungssicherheit auf dem gewohnt hohen Niveau zu halten. Die Lösungen von Sprecher Automati- on sind weltweit gefragt. Acht von zehn der in Österreich produzierten Gerä- te gehen in den Export. Treiber ist die Energiewende. „Wir wachsen jedes Jahr im Schnitt um zwölf Prozent“, erklärt Geschäftsführer Erwin Raffeiner, der das Unternehmen mit Kollegen in einem Management-Buyout 2002 von einem französischen Konzern übernommen hat. Damals beschäftigte das Unter- nehmen 160 Mitarbeiter und verbuch- te einen Auftragseingang von 16 Millio- nen Euro. Heute finden 600 Mitarbeiter Arbeit und der Auftragseingang lag im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr bei 112 Millionen Euro. Unternehmen müssen sichtbar werden Doch der Erfolg hat auch einen Haken: Fehlende Mitarbeiter drohen das Wachs- tum zu bremsen. Der Hidden Champion muss aus der Deckung heraus und für eine breite Öffentlichkeit sichtbarer wer- den. „Wir waren in der Vergangenheit etwas konservativ, was Employer-Bran- ding-Maßnahmen betrifft. Jetzt ist es an der Zeit, uns zu präsentieren“, sagt Raf­ feiner. Wesentliche Erfolgsfaktoren sind das Festhalten am Produktionsstand- ort Österreich und die Mitarbeiterbetei- ligung, beides Gründe, , dass dieWechsel- bereitschaft imUnternehmen sehr gering ist. Gesucht werden vomHard- und Soft- wareentwickler bis zum Fertigungsper- sonal. Doch wie angle ich Top-Leute für mein Unternehmen? „Jobinserate zu schalten reicht nicht mehr. Es braucht Recruiting, aktives Werben auf Social- Media-Plattformen und das Beschreiten neuer Wege“, sagt Raffeiner. Eine rück- läufige Anzahl an Bewerbungen und aus- geschriebenen Jobs bestätigt Recruiting- Profi Sam Zibuschka. „Einen Job über ein Print- oder ein Online-Inserat zu beset- zen ist ein Glückstreffer“, sagt der Mana- ging Director beim Recruiting-Unterneh- men ePunkt. Deshalb rüsten Firmen stark auf in verschiedenen HR-Bereichen, allen voran im Bereich Employer Branding, um bei der Arbeitgeber-Attraktivität wieder ganz vorne zu landen. Recruiter sind das „neue Gold“ „Man kann sich heute nicht mehr darauf verlassen, dass Kandidaten von alleine kommen, sondern muss sich selbst auf die Suche begeben und Leute etwa auf Social-Media-Kanälen aktiv anspre- chen“, sagt Zibuschka. Dieses „Active Sourcing“ ist nicht neu, aber hochkom- plex und verlangt ausgeklügelte Strate- gien. Ein weiterer Trend ist der Aufbau eigener Kandidatenpools. Weil Kandidat und Unternehmen in engerem Kontakt stehen, fällt damit ein großer Teil des Bewerbungsaufwands weg. Einen grund- legenden Wandel in Unternehmen sieht auch Gerhard Heidlmair, der sich als Kommunikationsprofi intensiv seit zwei Jahrzehnten mit HR-Themen beschäf- tigt: „Die Erwartungshaltung nicht nur der jungen, sondern auch der etablier- ten Arbeitnehmer hat sich geändert. Wenn ich als Arbeitgeber nicht proak- tiv die Bedürfnisse stille, dann bekom- me ich ein noch größeres Problem, weil ich dann auch bestehende Mitarbei- ter verliere.“ Gerade in Traditions- und Familienunternehmen herrscht immer noch der Glaube vor, wenn die Mitar- beiter monatlich pünktlich das Gehalt erhalten und der Chef jedem Mitarbei- ter zu Weihnachten die Hand schüttelt, sei dies völlig ausreichend. Die Wahrheit ist, dass heute Vorstand oder Geschäfts- führer vor den Gesellschaftern oder Auf- sichtsräten wegen nicht erledigter Kun- denaufträge Rede und Antwort stehen müssen. Die Begründung der geknickten Manager lautet: „Uns fehlen leider die Mitarbeiter dafür.“ Der Mitarbeiterman- gel bringt die Wirtschaft in eine exis- tenzielle Notlage. „Wenn der Vertrieb akquiriert, aber Mitarbeiter fehlen, um die Aufträge zu bearbeiten, habe ich ein unternehmerisches Problem“, bringt es Heidlmair auf den Punkt. Für Zibuschka sind Recruiter daher „das neue Gold im Unternehmen“. Viele Firmen wür- den erkennen, dass nicht der Vertrieb oder die Entwicklungsabteilung, son- dern „personelles Wachstum heute der ultimative Hebel für das Erreichen der Unternehmensziele ist“. Firmenübernahmen als Talent-Akquisition Am ausgeprägtesten ist Fachkräfteman- gel am IT-Sektor. Mehr als 24.000 IT- Fachkräfte fehlen in Österreich – in den nächsten fünf Jahren könnten es bis zu 30.000 sein. Dadurch entstehe ein Wert- schöpfungsverlust von 3,8 Milliarden Euro pro Jahr, rechnet die Branche vor. Die Maßnahmen der Unternehmen sind vielfältig: Sie reichen von üppigen Mit- arbeiterbenefits, Viertagewoche bei vol- lem Lohnausgleich, Standorteröffnungen in Bundesländern oder „unmoralischen“ Einstiegsgehältern von bis zu 8.000 Euro für Absolventen, die frisch von der Uni oder der Fachhochschule kommen. Der Fachkräftemangel im Bereich der Infor- mationstechnologie ist ein globales Phä- nomen. Obwohl große IT-Unternehmen in der Regel über ausgefeilte Rekrutie- rungssysteme verfügen, liegt die Zahl der Firmenübernahmen in den USA auf einem Rekordniveau. Akquisitionen wur- den bisher als Wachstums- oder Wett- bewerbsstrategie eingesetzt, viele Tech- nologieunternehmen nutzen sie aktuell als Talent-Akquisition. Und man hat mit „Acquihire“ auch bereits ein neues Kof- ferwort dafür kreiert – zusammengesetzt aus „Acquisition“ (Übernahme) und „hire“ (jemanden einstellen). M&A-Spitzenrei- ter dürfte das IT-Beratungsunternehmen Accenture sein, das imGeschäftsjahr 2021 rund 4,2MilliardenDollar für 46 Übernah- men investierte, „um Kompetenzen und neue Fähigkeiten in strategischen, wachs- tumsstarken Marktbereichen hinzuzu- fügen“, wie das Unternehmen mitteilte. In Österreich sind solche Entwicklun- gen eher die Ausnahme. Für Personal- expertin Bettina Kern, Gründerin von Kern engineering careers mit 140 Mitar- beitern, liegt das Personalproblem auch im österreichischen Bildungssystem. Absolventen in den sogenannten MINT- Fächern (Mathematik, Informatik, Natur- wissenschaft und Technik) sind Mangel- ware. „Wer bei uns kostenlos studiert, sollte auch bei uns einige Jahre arbei- ten müssen. Viele Talente, die wir hier in Österreich ausbilden, gehen nach dem Studium wieder zurück in ihr Heimat- land. Umgekehrt gilt: Jenen Leuten, die bei uns arbeiten möchten, machen wir es unnötig schwer, wie das Beispiel der zum Teil hervorragend ausgebildeten ukraini- schen Flüchtenden zeigt“, sagt Kern. 61.900 offene Stellen zählt der Wirtschaftsbund- Stellenmonitor alleine in Oberösterreich. Erwin Raffeiner Geschäftsführer bei Sprecher Automation, Linz Wir waren in der Vergangenheit etwas konservativ, was Employer- Branding-Maßnahmen betrifft. Jetzt ist es an der Zeit, uns zu präsentieren. Wer bei uns kostenlos studiert, sollte auch bei uns einige Jahre arbeiten müssen. Bettina Kern Geschäftsführerin Kern engineering careers, Linz Das Unternehmen muss sich heute bei potenziellen Mitbe- werbern bewerben. Das ist ein kompletter Perspektivenwechsel, der aktuell stattfindet. Gerhard Preslmayer Geschäftsführer SPS-Marketing Ô

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