Chefinfo Magazin 03-22

COVERSTORY 3/2022 | CHEFINFO | 27 26 | CHEFINFO | 3/2022 FOTO: WINTERSTEIGER AG FOTO: DAVIT85 / ISTOCK / GETTY IMAGES PLUS Produkte aus Asien on top drauf.“ Stark gestiegene Preise, die geschluckt werden müssen, um die Servicequalität aufrecht- zuerhalten. „Das ist schon brutal. Wir sind da auch kaufmännisch gefordert.“ Kunden-Lieferanten- Verhältnis hat sich gedreht Die explodierenden Schifffahrtspreise sieht Bostelmann noch einige Zeit auf hohem Niveau. „Es gibt weltweit drei große Reedereien, die den Container- markt dirigieren, die so schnell wohl nicht mehr auf das alte Preisniveau zurückkehren werden. Es bleibt also ein Kraftakt, den gewohnten Service auf- rechtzuerhalten.“ Auch den Kunden gegenüber. Kellner & Kunz setzt sich daher aktiv ein, Produktionskapazitäten zurück nach Europa zu holen. „Wenn die Frachtpreise so hoch bleiben, macht es absolut Sinn, wieder in der EU zu pro- duzieren. Die Digitalisierung bringt uns große Produktivitätsvorteile. Es würde also funktionieren.“ Dennoch hielt sich die Begeisterung bis jetzt in Grenzen. Bostelmann bringt ein Beispiel. „Als die Autoindustrie wegen mangelnder Chips die Produktion drosselte bzw. teilweise sogar einstellte, mussten auch die Schraubenwerke, die für die Autoindus- trie liefern, mitdrosseln. Die frei gewor- denen Kapazitäten hätten diese Werke nutzen können, um Standardschrauben herzustellen. Wir haben daher in itali- enischen und deutschen Werken ange- fragt, doch sie waren nicht interessiert und gingen lieber in Kurzarbeit.“ In Wels werden derzeit Waren bestellt, die erst im Jänner bzw. Februar 2023 eingehen. „Man muss jetzt sauteuer bestellen, ohne zu wissen, wie das Preisniveau 2023 sein wird. Doch tun wir das nicht, bekommen wir keine Ware.“ Mit 3D-Druck in Europa produzieren Auch Johannes Gerlinger, Gründer und Inhaber von allespflege.com , würde sich mehr europäische Unabhängigkeit wün- schen. Das Leondinger Unternehmen vertreibt in seinem Webshop Pflege- und Praxisbedarf, von Verbandstoffen, über Hygieneartikel bis hin zu Rollstüh- len. Und Gerlinger hat eine konkrete Idee: „Warum nutzen wir nicht mehr 3D-Drucktechnologie in Europa. Das würde sich für den Gesundheitsbereich anbieten, etwa wenn Standardprodukte nicht passen. Man sollte Produktion neu denken.“ Barrierefreie Toilettensitze, Duschhocker oder Gehhilfen könnten so „on demand“ exakt an die zu pflegende Person angepasst werden. „Es braucht dazu nicht mehr als ein Betriebsgebäude, gute Datenleitungen und eine passen- de Verkehrsanbindung.“ Gerlinger leidet wie so ziemlich alle Unternehmen Kunden einen Servicegrad von über 99 Prozent, aktuell sind es in Anbetracht der Umstände noch immer sensationelle 97 Prozent. Möglich macht das die uner- müdliche Arbeit der Einkäufer und Dis- ponenten. Zum Jahreswechsel 2020/21 verschärften explodierende Container- preise die Lage noch einmal dramatisch. „Ich gehe sehr sorgsam mit unseren Ein- käufern um und schätze ihre Leistung noch einmal mehr. Sie setzen sich uner- müdlich für unsere Kunden ein.“ Der Job hat sich dabei grundlegend verändert. „Man ist als Einkäufer derzeit eher Dik- tatempfänger. Wenn man Ware haben will, hat man nicht viel Zeit zu überle- gen oder gar zu verhandeln.“ Er sieht das Verhältnis zwischen Kunde und Bezugs- partner mittlerweile umgedreht. „Unsere wichtigste Parole ist es, unseren Kunden Sicherheit zu bieten, deshalb müssen wir lückenlos die Produktionen unserer Kun- den sicherstellen und vieles abfangen.“ Ein echter Knochenjob Deckungskäufe sind an der Tagesord- nung, dazu hapert es an der Performance der Bezugspartner. „Früher hat der Liefe- rant gemeldet, wann ein Container abzu- holen ist. Heute müssen wir uns um alles kümmern. Steht der Container am Hafen, müssen wir nun dafür sorgen, dass er auch aufs Schiff kommt. Wir müssen priorisierte Plätze bezahlen. Und wenn in einem Hafen in China auch nur ein Coronafall auftaucht, wird der Hafen gesperrt. Das ist ein echter Knochen- job.“ Herausforderungen, die neben dem strategischen Einkauf auch Disponenten sowie die Mitarbeiter aus der Material- und Bedarfsplanung treffen. „Es hilft nur noch bedingt, wenn man einen Rah- menvertrag hat.“ Öl ins Feuer goss erst kürzlich die EU, als sie Anti-Dumping- zölle für Befestigungselemente aus Asien beschloss. „Das ist zum jetzigen Zeit- punkt vollkommen sinnlos. Solche Zölle beschließt man, um die eigenen Kapa- zitäten zu schützen, doch die gibt es in Europa nicht. Trotzdem kommt nun ein 45- bzw. sogar 85-Prozent-Zoll für Michael Kirchmeir Leiter Einkauf und Logistik, Wintersteiger AG Eine Verbindlichkeit den Preis betreffend gibt es schon lange nicht mehr. Und eine Verbindlichkeit die Termine betreffend auch nicht. Ein Fünftel aller Stahlimporte in die EU kam im Vorjahr aus Russland, zehn Prozent aus der Ukraine. Stahl wird knapp und teuer. Ô STAHL

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