Chefinfo Magazin 03-22

COVERSTORY 3/2022 | CHEFINFO | 25 24 | CHEFINFO | 3/2022 FOTOS: ALLESPFLEGE.COM FOTOS: HARALD DOSTAL / PICTUREDESK.COM, KELLNER & KUNZ weltweit und 168 Millionen Euro Umsatz ein mittelständischer Betrieb, daher sei die Einkaufsmacht nicht vergleichbar mit großen Konzernen. „Wir verstehen Liefe- ranten als Partner. Uns ist es wichtig, dass der Lieferant zuverlässig zu wettbewerbs- fähigen Kosten liefert, dass die Quali- tät passt, er uns Innovationen aufzeigt und wir unseren Kunden einen Support geben können, den sie sich erwarten.“ Lieferketten robuster machen Wie kann man seine Lieferketten robus- ter machen? In der Logistik ist ein Trend zu beobachten: Die Verlagerung von Warenströmen in Lieferketten hin zu Netzen, auch bekannt als „Multiple Sourcing“. Das sei schwierig, sagt Kirch- meir. Der Spezialmaschinenbauer pro- duziert kleine, aber sehr kundenspezifi- sche Serien. „Wenn wir wirklich bei jeder technischen Komponente – zum Bei- spiel dem Verbrennungsmotor bei Mäh- dreschern – einen zweiten Lieferanten wollten, wäre alleine der Entwicklungs- aufwand riesig.“ Der Motor müsse einge- passt werden, hinzu kommen Software und Elektronik. Was die Widerstands- fähigkeit für Kirchmeir erhöht hat, ist die Zusammenarbeit in der Firma selbst. Während früher manchmal ein Abtei- lungsdenken vorherrschte, rückte man in der Krise zusammen und ist damit kreativer geworden. „Diese Kreativität macht sich bezahlt. Man kommt auf Entwicklungen drauf, die nachhaltig und besser sind, als die bereits imple- mentierten. Interdisziplinäres, abtei- lungsübergreifendes Arbeiten ist heute an der Tagesordnung. Wenn ein Pro- blem aufpoppt, werden die richtigen Leute zusammengeholt und dann rau- chen bereits die Köpfe!“, sagt Kirchmeir. . 2021: 56 Tage Produktions- stillstand im Schnitt Dennoch lassen sich Zwangsstillstände oft nicht vermeiden. Eine Umfrage von reichelt elektronik unter 1.550 Unter- nehmen in ganz Europa zeigt das Aus- maß. Im Juni 2021 verzeichneten die Firmen im Schnitt 29 Tage Produktions- stillstand, im Februar 2022 wuchs dieser Wert bereits auf 56 Tage an. Das alles fordert den Einkauf wie noch nie und es zeigen sich erste neue Denkmuster. Nach just in time, dem Abbau von Lägern oder dem globalen Outsourcen kommt es zu ersten Kehrtwenden. Harald Allerstorfer, Managing Director von DIG, einem Soft- warehaus, das sich auf digitale Geschäfts- prozesse wie automatisierte Wertschöp- fung im Einkauf spezialisiert hat, kann das beobachten: „Unsere Belegfluss-Sys- teme verarbeiten heute spürbar weniger kleine Just-in-time-Orders und vermehrt große Bestellungen. Auch Lösungen zur Lagerbestandsverwaltung werden ange- fragt.“ Ähnliches sieht er beim Thema Vendor Managed Inventory. Digitalisie- rung und Automatisierung machen mehr Zeit für strategischen Einkauf frei, und der ist nötiger denn je: „Gerade imMittel- stand ist der strategische Einkäufer nicht selten ein klassischer Bestellschreiber. Damit geht Potenzial verloren. Nehmen wir zum Beispiel die Produktentwick- lung: Einkäufer und Techniker können gemeinsam liefersichere Bauteilalternati- ven finden.“ Damit umgeht man Engpäs- se, doch auch das Lieferkettensorgfalts- pflichtgesetz oder Green Sourcing stellen Einkäufer vor neue Aufgaben. „Das ist mehr als nur eine Modeerscheinung. All das verstärkt den Fokus aufs Strategische sogar“, ist sich Allerstorfer sicher. Extraschichten für Liefertreue Sicher ist auch, dass Einkäufer, auf Neu- deutsch auch Procurement Officers genannt, plötzlich in der Auslage stan- den. Sie schoben Extraschichten ein, wie Walter Bostelmann, Vorstand von Kellner & Kunz in Wels berichtet: „Das ist schon ein brutaler Job, den unsere Leute seit Monaten machen.“ Kellner & Kunz beliefert Kunden aus Handwerk und Industrie mit sogenannten C-Tei- len. Teile, die im Jahresverbrauchswert von Unternehmen nur fünf Prozent aus- machen. Fehlt Befestigungsmaterial wie Schrauben, Beilagscheiben und vieles mehr, dann haben diese kleinen Teile gro- ße Wirkung. 120.000 verschiedene Pro- dukte umfasst das Sortiment des Wel- ser Handels- und Dienstleistungshauses. Das Ziel: „Die Produktionen zu versorgen und unseren Kunden eine Produktion ohne Einschränkung zu gewährleisten, darum haben sie uns ja.“ In „Normal- zeiten“ bot das Unternehmen seinen sanktioniert, eines der größten Stahl- werke Europas in der ukrainischen Stadt Mariupol ist zerstört. Die Auswirkun- gen auf die gesamte Lieferkette können noch nicht eingeschätzt werden. Was man sieht: Die Preise steigen. Wenn die Alarmglocken schrillen „Früher waren moderate Preisanpassun- gen Verhandlungsgegenstand. Wenn ein Lieferant die Preise um ein paar Prozent erhöhen wollte, schrillten bei den einem oder anderen Einkäufer die Alarm- glocken. Heute reden wir von Forde- rungen in einer noch nie dagewesenen Höhe und oft gesellen sich Trittbrett- fahrer dazu. Eine Verbindlichkeit den Preis betreffend gibt es bei einigen Part- nern nicht mehr. Und eine Verbindlich- keit die Termine betreffend auch nicht“, erklärt der Chefeinkäufer bei Winter- steiger. Das tut weh. Die Maschinen, die der Weltmarktführer Wintersteiger in alle Welt liefert, sind klassische Inves- titionsgüter: vollautomatische Service- anlagen für Ski und Snowboards, Band- sägen, GPS-gesteuerte Sämaschinen oder hochpräzise Blechrichttechnik. Qualität und Liefertreue sind wichtige Punkte. „Kunden brauchen unsere Automaten für ihr Geschäft. Wenn wir nicht liefern, kommt ein Mitbewerber zum Zug“, sagt Kirchmeir. Wintersteiger ist mit mehr als 1.000 Beschäftigten an 30 Standorten Der Ukraine-Krieg zeigt deutlich, wie abhängig der Wes- ten von Autokratien und ihren Rostoffen ist. Öl- und vor allem Gaspreise explodier- ten regelrecht. Walter Bostelmann Vorstand Kellner & Kunz AG Man ist als Einkäufer derzeit eher Diktatempfänger. Wenn man Ware haben will, hat man nicht viel Zeit zu überlegen oder gar zu verhandeln. Dank unermüdlichem Einsatz seiner Einkäufer und Disponenten kann Kellner & Kunz-Vorstand Walter Bostelmann seinen Kunden einen Servicegrad von 97 Prozent (2019: 99 Prozent) bieten. Johannes Gerlinger Inhaber allespflege.com Man muss vielleicht ein wenig umdenken und sich davon lösen, dass alles in allen Farben, Größen und Formen immer verfügbar ist. Johannes Gerlinger von alles- pflege.com plädiert für mehr europäische Produktion bei kritischen Waren für den Gesundheits- und Pflegebe- reich. Vieles ließe sich mittels 3D-Druck herstellen. Ô ÖL

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