Chefinfo Magazin 02-22

2/2022 | CHEFINFO | 79 78 | CHEFINFO | 2/2022 FOTOS: MARIA ZIEGELBÖCK FOTOS: JKU, RETANY, TYAS DRAWING, ARTHOBBIT / ISTOCK / GETTY IMAGES PLUS IT & MORE KÜNSTLICHE INTELLIGENZ. Artificial Intelligence beflügelt die Fantasien der Menschen schon lange und kommt bereits in vielen Bereichen zum Einsatz. Gerhard Widmer, Leiter des Instituts für Computational Perception an der Linzer JKU, warnt davor, zu viel von Computern zu erwarten. INTERVIEW: Jessica Hirthe S ie betreiben seit Jahrzehn- ten Grundlagenforschung im Bereich Künstliche Intelligenz und Musik. Was ist so faszinierend an diesem Forschungsgegenstand? GerhardWidmer: Erstens die Musik an sich, weil sie was Schönes und Wichti­ ges ist. Zweitens: Wenn man sich von­ seiten der KI der Musik nähert, lernt man viel darüber, was Musik überhaupt ist und wie sie funktioniert. Wenn man versucht, Computern beizubringen, Rhythmus oder Harmonien zu erken­ nen, merkt man erst, wie komplex diese Leistungen sind, die wir als Menschen fast intuitiv erledigen, was unser Gehirn leistet, wenn man Musik hört, weil man gezwungen ist, das formal zu fassen mit einem Algorithmus. Das erhöht unseren Respekt vor demmenschlichen Intellekt. Die gesamten Klavierwerke von Frédéric Chopin, vom russischen Meisterpianisten Nikita Magaloff ein- gespielt, wurden von Ihnen und Ihrem Team Note für Note rekonstruiert. Sehr viel Arbeit. Aber wofür? Widmer: Mit diesem Datensatz wis­ sen wir genau, wie jede einzelne Note gespielt wurde. Damit kann man viel studieren: Wie Pianisten Tempo gestal­ ten, wie sie bestimmte Passagen beto­ nen, wie sie Fehler machen. Bedeutet KI in der Musik mehr Imita- tion oder mehr Innovation? Widmer: Viele fragen, ob Computer kreativ sind. Aber ich sage, es ist reine Imitation. Ich kann dem Computer auch Stücke geben, die er vorher noch nicht gespielt hat, und er wird sie vernünftig interpretieren. Ein Computer kann ver­ allgemeinern, das, was er gelernt hat, auf eine neue Situation anwenden, kann was Neues machen, was nicht in den Daten war. Innovation würde bedeuten, von sich aus etwas komplett Neues erschaf­ fen zu wollen. Das sollte man nicht von Computern erwarten. Wenn zwei Pianisten im Duett spie- len, hören sie aufeinander und stim- men ihr Spiel aufeinander ab. Wie lernt der Computer hören? Widmer: Unser Computerflügel hat Sensoren, die jede Tasten­ bewegung vermessen. Der Com­ puter braucht gar nicht hören, er bekommt die Daten, wann ich welche Tasten gedrückt habe, auf digitale Wei­ se. Er muss dann erkennen, wo ich im Stück bin. Das Hören ist somit nicht das Schwierige. Das aufeinander Abstimmen ist eine vielschichtige Sache zwischen zwei Menschen. Wenn sie miteinander spielen, sehen sie sich auch an, bekom­ men die Körperbewegungen mit. Das Synchronisieren passiert auf vielen Ebe­ nen – das kann man zwischen Mensch und Maschine so noch nicht simulieren oder realisieren. Wird es eine neue Koexistenz zwi- schen Künstler und Computer geben oder werden Menschen in den Hinter- grund gedrängt? Widmer: Es geht um Koexistenz und nützliche Dienste, die die Maschi­ ne dem Menschen leisten kann. Ich halte es für Unfug zu glauben, dass man eine Maschi­ ne so weit entwi­ ckeln kann, dass sie wie ein Mensch spielt oder Musik emp­ findet. Ich sehe auch nicht, dass wir auch nur in der Nähe von so etwas wären. „Es ist reine Imitation“ Wie wird KI die Musik verändern? Widmer: KI ist bereits in der Musik­ industrie in großem Stil im Einsatz. Wenn Sie bei Spotify Musik streamen, wird Ihnen automatisch Musik auf Basis Ihrer Playlisten angeboten, dahinter ste­ hen Algorithmen, die lernen vorherzusa­ gen, was der Mensch auch mögen könn­ te. KI wird auch in der Musikproduktion eine immer größere Rolle spielen als Hil­ fe beim Abmischen oder Produzieren von Songs. Mein Team arbeitet an Emp­ fehlungssystemen, die lernen, bestimm­ te Dinge aus Tonaufnahmen zu erken­ nen, etwa Stilrichtung oder Tempo. Das ist durchaus in der Praxis anwendbar: Wir haben ein Patent mit Bang&Olufsen, das in eine Stereoanlage eingebaut ist, die selbst entscheidet, was sie weiter­ spielt auf Basis dessen, was bis dahin gehört wurde. Unsere Soft­ ware wird auch in der Schweiz bei der Swissperform ver­ wendet, um für die Tantiemenabrech­ nung zu vermessen, wie viel Musik von Radiosendern gespielt wird pro Jahr. Wird Computersoftware jemals Musik komponieren können, die dem Ver- gleich etwa mit Chopin standhält? Widmer: Vor wenigen Monaten ist eine zehnte Sinfonie von Beethoven urauf­ geführt worden, die ein Computer aus Notizen von Beethoven geschrieben hat. Dieses Mega-Prestigeprojekt hat aber alle Schwächen aufgezeigt. Diese Pro­ gramme lernen vorherzusagen, mit wel­ cher Wahr­ scheinlichkeit die nächste Note etwa ein C ist. Wenn sie ein neues Stück komponieren, fan­ gen sie mit ein paar Noten an, die man ihnen gibt. Dann sagen sie Note für Note voraus, die kommen soll auf Basis der Wahrscheinlichkeiten. Diese Programme komponieren nicht, sie spucken eine Lis­ te von Noten aus. Das kann wie Musik klingen, ist aber aus musikalischer Sicht wertlos, weil Computer kein Ziel haben und nichts aussagen wollen, sondern nur statistische Regeln anwenden. Komposi­ tion hat nichts mit Note für Note vorher­ sagen zu tun, sondern ist ein Prozess des Konstruierens auf vielen Ebenen gleich­ zeitig. Wenn man einen Roman schreibt, schreibt man ja auch nicht Buchstabe für Buchstabe hin, sondern hat eine Vorstel­ lung, wer die Figuren sind, welche Kon­ flikte es gibt und wie man das in einer Story abbildet. Wo können die Anwendungen der Zukunft liegen? Widmer: Anwendungen zu finden, für das, was wir tun, überlasse ich ande­ ren, den Ingenieuren oder Firmen. Wir machen Grundlagenforschung und las­ sen uns leiten von spannenden Fragen: Wie kann man einer Maschine bestimm­ te Fähigkeiten beibringen und was macht diese Fähigkeiten so komplex? Was ist Ihr nächstes Projekt? Widmer: Das nächste Projekt, für das ich wieder 2,5 Millionen Euro vom Europä­ ischen Forschungsrat bekommen habe, ist noch abstrakter: Wir wollen die Art undWeise, wie musikalische Fähigkeiten von KI modelliert werden, im Compu­ ter weiterentwickeln. Es wird viel Unfug getrieben in der Artificial Intelligency im Bereich Musik und ich möchte den For­ schungsbereich von diesem Unfug wie­ der in eine vernünftige Richtung bringen. Ich will die musikalischen Abstraktionen begreifen und beschreiben. n AUSZEICHNUNGEN erhielt Gerhard Widmer für seine Forschungen bereits eini- ge, unter anderem den Wittgenstein-, zuletzt den Breakthrough-Preis.

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